Einleitung

Üblicherweise werden Schadstoffe nicht auf Ebene ganzer Produkte, sondern als einzelne Stoffe bewertet. Im Produktzusammenhang muss eine Überprüfung auf enthaltende Schadstoffe jedoch anhand der Produktkomponenten und verwendeten Materialien vorgenommen werden (siehe auch Problemstoffarmut). Sind in dem Material / der Komponente / dem Produkt Schadstoffe enthalten und welche Wirkungen gehen von ihnen aus? Die Untersuchung kann sich auf einzelne Stoffe oder ganze Stoffgruppen beziehen, wie z.B. Dioxine oder PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe).

Eine andere Möglichkeit, den Schadstoffeinsatz in Produkten zu überprüfen, ist eine Lebenswegbetrachtung des Produktes durch eine Ökobilanz.

In einer Ökobilanzierung werden die Risiken durch gefährliche Stoffe in Produkten meist nur sehr eingeschränkt berücksichtigt. So setzt sich die Sachbilanz in der Regel lediglich aus Emissionen von Schadstoffen aus den Prozessen der Energiegewinnung und des Transports zusammen, während die konkreten verwendeten Chemikalien oft nicht aufgeführt werden. Hierdurch fehlt einer detaillierten Berücksichtigung von Chemikalien in Ökobilanzen bereits die notwendige Grundlage.

In Ökobilanzen für Produkte sollte jedoch auch die Wirkung von freiwerdenden Schadstoffen auf Mensch und Umwelt berücksichtigt werden. Solche Stoffe werden bereits im Herstellungsprozess verwendet, als Prozess­hilfsmittel oder Chemikalien, die im Produkt verbleiben. Aber auch in Transport, Nutzungs- und Entsorgungsprozessen müssen die Wirkungen von freigesetzten Schadstoffen bestimmt und bewertet werden. Derzeit ist die Bewertung von Schadstoffemissionen über den gesamten Lebensweg eines Produkts eine grundlegende Herausforderung: einerseits aufgrund komplexer chemischer Strukturen und deren Wirkungen, andererseits aufgrund fehlender Primärdaten.

Die Möglichkeiten und Grenzen der Schadstoffbewertung mit Hilfe der Ökobilanz-Instrumente werden in diesem Artikel dargestellt.

Was sind Schadstoffe und deren möglichen Wirkungen?

Im Allgemeinen werden unter Schadstoffen alle Stoffe verstanden, die eine schädliche Wirkung auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt im weiteren Sinne haben können. Der Begriff ist weder gesetzlich noch für die Ökobilanzierung eindeutig definiert.

Im Kontext des Chemikalienrechts gilt ein Stoff als gefährlich, wenn er bestimmte Eigenschaften hat, die sich entweder auf seine Reaktionsfähigkeit, wie z.B. Explosivität oder Entflammbarkeit, beziehen oder die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt durch (öko-)toxische Wirkungen schädigen können.

Schadstoffe können beim Menschen verschiedene Beeinträchtigungen verursachen. Im Chemikalienrecht werden die möglichen Gesundheitsschäden systematisch zusammengefasst und gruppiert, wie beispielsweise Krebserkrankungen, akute Vergiftungen oder Hautreizungen. Die Mechanismen, wie Schadstoffe auf den Körper / im Körper wirken, können unterschiedlich sein und sind durch die chemische Struktur und Reaktivität der Verbindungen bedingt. Auch die Art und Intensität der Wirkungen unterscheiden sich je nach individueller Konstitution und Disposition, aber auch nach Entwicklungsstufe und Körpergröße eines Menschen (Fötus, Kind, Erwachsener).

Wie Schadstoffe auf die Umwelt wirken, ist anders zu betrachten. Hier sind insbesondere die Schäden von Relevanz, die die dauerhafte Funktionsfähigkeit von Ökosystemen beeinträchtigen. Kurzfristige Schäden, wie z.B. die Vergiftung eines Flusses mit einem Schadstoff infolge eines Unfalls, können durch die Selbstreinigungskraft der Umwelt sowie die Mobilität und Regenerationsfähigkeit von Organismengesellschaften wieder ausgeglichen werden. Deutlich problematischer sind kontinuierliche Einträge von schädlichen Stoffen, insbesondere wenn es sich um Stoffe handelt, die in der Umwelt nicht oder nur schwer abgebaut werden und sich in Organismen anreichern können. Hierdurch werden Veränderungen in der Umwelt bzw. in den Organismen hervorgerufen, die das Ökosystem dauerhaft destabilisieren.

Welche Möglichkeiten der Schadstoffbewertung mit Hilfe einer Ökobilanz bieten sich für Designer:innen?

Grundlage und Eingangsinformationen für die Wirkungsabschätzung im Rahmen einer Ökobilanz ist immer die Sachbilanz. Diese muss für die Betrachtung von Schadstoffwirkungen auch Daten über die Art und die Mengen der während verschiedener Lebenswegphasen freigesetzten Schadstoffe enthalten.

In der Praxis sind quantifizierte Informationen zur Schadstoff­freisetzung in den Herstellungs-, Transport-, Nutzungs- und Entsorgungsprozessen allerdings nur sehr selten verfügbar. Das gilt sowohl bei Bestrebungen spezifische Informationen für die Prozesse einer ganz konkreten Prozesskette direkt zu erheben, als auch für den Rückgriff auf hinterlegte Sachbilanzwerten für Standardprozesse aus LCA-Datenbanken.

Der Grund für diese Schwierigkeit liegt darin begründet, dass Daten zur Freisetzung einzelner Schadstoffe in der Praxis nur sehr selten erhoben werden. Solche Messungen erfolgen nur dann, wenn sie z. B. zum Nachweis der Einhaltung rechtlicher Anforderungen an die Emissionen notwendig sind. Solche rechtlichen Anforderungen, z. B. nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, beziehen sich jedoch in der Regel auf Summenparameter, also Gruppen von Stoffen, die sich in der Struktur ähneln, aber nicht notwendigerweise auch in der (öko-)toxikologischen Wirkung. Beispiele für solche Summenparameter sind Stickstoffoxide (NOx) oder halogenierte organische Verbindungen (AOX). Aus den meisten Prozessen und Produkten werden aber weitaus mehr Schadstoffe abgegeben, die für die die Bewertung der Human- und Ökotoxizität relevant sind. Da für diese Stoffe keine spezifischen Mess- oder Kontrollpflichten bestehen, fehlen entsprechende Daten.

Im Ergebnis führen dies dazu, dass bereits für die Erstellung der Sachbilanz in den meisten Fällen nur unzureichende Informationen zur Verfügung stehen. Faktisch fehlen für die meisten spezifischen Prozesse quantifizierte Informationen über

  • Art und Einsatz- oder Anwendungsmengen von Chemikalien als Input,
    wie z. B. zu Pestiziden und Düngemitteln, Prozesshilfsmitteln, Reinigungsmitteln, Additiven oder Flammhemmern;
  • Emissionsmengen von Schadstoffen in die Luft, das Abwasser, den Boden und/oder das Grundwasser (Output).

Daraus folgt, dass in der Sachbilanz vielfach nur die Schadstoffemissionen aus Transportprozessen und Prozessen der Energiegewinnung zusammengestellt werden können. Für diese überall gebräuchlichen Standardprozesse sind in den verfügbaren LCA-Datenbanken entsprechende Durchschnittswerte hinterlegt. Hingegen fehlen in der Regel die Emissionen der Schadstoffe, die im Prozess und/oder Produkt eingesetzt werden bzw. im Prozess oder Produkt entstehen können.

Den beschriebenen Datenmangel im Rahmen eigener Bilanzierung zu beheben ist nicht einfach. Aussagekräftige Schadstoffmessungen sind aufwändig und Emissionsabschätzungen erfordern sowohl Kenntnis über das jeweils eingesetzten Schadstoffinventar (Input-Werte) als auch das Emissionsverhalten unter den jeweiligen Prozessbedingungen.

Toxizitätsbezogene Wirkungskategorien

Soweit die Informationen verfügbar sind, können Schadstoff­emissionen in den beiden Wirkungskategorien Humantoxizität und Öko­toxizität bewertet werden. Zum Vergleich bzw. zu ihrer Quantifizierung müssen die Wirkungen der unterschiedlichen freigesetzten Schadstoffe normiert und aufsummiert werden.

Für die Quantifizierung der Wirkungen sind verschiedene Verfahren entwickelt worden. Vergleichsweise einfache Herangehensweisen normieren die (Öko-)Toxizität indem sie die Emissionsmengen der verschiedenen Schadstoffe durch ihre jeweilige (Öko-)Toxizität dividieren. Die Summe aller so ermittelten Werte bildet dann das Toxizitätspotenzial ab. Der Begriff Potenzial wird in diesem Zusammenhang verwendet, da die Toxizität nur dann zum Tragen kommt, wenn der Stoff auch tatsächlich mit Mensch und Umwelt in Berührung kommt (Exposition).

Die (Öko-)Toxizität selbst lässt sich durch unterschiedliche Kenn­zahlen ausdrücken. Eine ist beispielsweise die Stoffmenge oder Stoffmengenkonzentration, bei der 50% der Versuchstiere verenden. Dies wird Letale Dosis, LD50, oder Letale Konzentration, LC50, genannt. Eine kleine Zahl bedeutet, dass es sich um einen besonders giftigen Stoff handelt und eine große Kennzahl zeigt einen weniger giftigen Stoff an.

Andere Ansätze beziehen die Toxizität der Schadstoffe jeweils auf eine Referenzsubstanz und berechnen sogenannte Toxizitätsäquivalente, mit denen sie die Emissionsmengen gewichten.

Diese Verfahren führen grundsätzlich zu einem quantifizierten Ergebnis. Sie benötigen aber entsprechende Daten über die Ergebnisse der Versuche zur Bestimmung der Toxizität, die vielfach nicht bzw. nicht aus konsistenten Quellen verfügbar sind. Das kann zu Verzerrungen der Ergebnisse führen. Außerdem werden keine Unterschiede über mögliche Wirkungen, den resultierenden Umwelt- und Gesundheitsschäden, vorgenommen.

Ein weiteres grundsätzliches Problem ist, dass die tatsächliche Exposition von Mensch und/oder Umwelt gegenüber den Chemikalien nicht berücksichtigt wird. Zum einen verteilen und verdünnen sich Schadstoffe in der Umwelt, zum anderen werden Schadstoffe abgebaut, sodass sich die Menge eines Schadstoffes, mit der Mensch und / oder Umwelt tatsächlich in Kontakt kommt, signifikant von der emittierten Menge unterscheiden. Wird dies nicht berücksichtigt, kann es sein, dass Schadstoffe mit einer hohen Toxizität eine Wirkungsabschätzung dominieren, obwohl sie in der Realität, z.B. durch einen raschen Abbau in der Umwelt, keine Gefährdung darstellen.

In den letzten Jahren haben sich verschiedene Expert:innen zusammengetan, um die Schwierigkeiten bei der Wirkungsabschätzung bezüglich der Humantoxizität und der Ökotoxizität zu lösen. Ein vielversprechender Ansatz ist das Instrument USEtox, mit dem eine Wirkungsabschätzung durchgeführt werden kann. Aufgrund seiner weiten Akzeptanz kann es ein erster Schritt zu einer vereinheitlichten Bewertung sein. Das Modell erfordert eine relativ detaillierte und umfangreiche Dateneingabe und berechnet dann Faktoren zur Gewichtung von Schadstoffemissionen. Es unterscheidet zwischen verschiedenen Effekten und ermittelt Faktoren für die Humantoxizität sowie die Umwelttoxizität. Für die sachgerechte Interpretation dieser Ergebnisse ist allerdings wiederum vergleichsweise viel Fachexpertise erforderlich.

Relevanz für das Ökodesign von Produkten

Praktische Hinweise, wie das Thema gefährliche Stoffe im Ökodesign abseits der Ökobilanzierung bearbeitet werden kann und wie aus einer gestuften Betrachtung „gefährlicher Stoffe“ gezielt Optimierungshinweise für das Produktdesign bzw. die Materialauswahl abgeleitet werden können, finden sich im Kapitel Problemstoffarmut.