Wie beeinflussen Designprozesse die Umweltwirkungen von Produkten?
Alle Lebensphasen eines Produktes nehmen Ressourcen in Anspruch. Für die Ressourceninanspruchnahme entlang des gesamten Produktlebenszyklus nimmt das Produktdesign eine zentrale Rolle ein. Beim Produktdesign werden die äußere und innere Gestalt des Produktes sowie dessen Aufbau aus den unterschiedlichen Teilen festgelegt. Dabei sind stets die beabsichtigte Funktionalität und weitere gewünschte Produkteigenschaften zu berücksichtigen. Durch die Auswahl und / oder Gestaltung von Produktkomponenten sowie die Art und Menge der jeweils verwendeten Materialien werden dabei auch die Ressourceninanspruchnahmen aus den jeweiligen Vorketten festgelegt. Vorketten beziehen sich dabei auf Umweltwirkungen außerhalb der unternehmenseigenen Bilanzgrenze, wie der Erkundung, Gewinnung, Verteilung, Verarbeitung der verwendeten Ressourcen.
Auf der anderen Seite werden durch Zielvorgaben wie Funktionalität oder dem Endpreis auch die Nutzungsmöglichkeiten, Nutzungseigenschaften - beispielsweise des spezifischen Strom- oder Wasserverbrauchs - die Lebensdauer und die Entsorgungsmöglichkeiten beeinflusst. Mit den vorgegebenen Nutzungsmustern gehen wiederum festgelegte Ressourceninanspruchnahmen einher.
Werden bei den Gestaltungs- und Auswahlprozessen des Produktdesigns umweltbezogene Aspekte gleichrangig zu anderen Produktanforderungen berücksichtigt, so spricht man von Ökodesign.
Mit der Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen durch die (Wirtschafts-)Akteure in den verschiedenen Lebensphasen gehen jeweils auch entsprechende Umweltwirkungen einher. Entscheidungen im Sinne von Ökodesign können somit entlang des gesamten Lebenszyklus von Produkten Einfluss auf die Umwelteinwirkungen nehmen.
Wie unterscheiden sich Produkt- und Prozesseigenschaften?
Aus Sicht des Ökodesigns ist es ein Unterschied, ob Art und Umfang der Umwelteinwirkungen im Lebenszyklus eines Produktes direkt von der Gestaltung des Produktes abhängig sind (Produkteigenschaften) oder ob sie durch die konkrete Art und Weise der Ausgestaltung und Durchführung der verschiedenen Prozesse in den Vorketten, der Nutzungsphase und der Entsorgungsphase ausgelöst werden (Prozesseigenschaften).
Wichtig dabei ist, dass die Produkteigenschaften selbst noch keine konkreten Umweltwirkungen haben. Nur aus dem Zusammenspiel von Produkteigenschaft und Prozesseigenschaft (auch als Prozessbedingung bezeichnet) resultiert eine Ressourceninanspruchnahme oder eine Umwelteinwirkung.
Die beiden Beispiele sind aus Gründen der besseren Verständlichkeit nicht bis zur Ressourceneinwirkung heruntergebrochen. Hier sind jeweils noch weitere Prozessketten vorgeschaltet, z. B. die Effizienz des Rohstoffabbaus.
Das Verständnis dieses grundlegenden Zusammenhangs ist von Bedeutung, da hieraus unmittelbar folgt, dass zur Analyse der Ressourceninanspruchnahme bei der Beurteilung von Ökodesignmaßnahmen regelmäßig auch die konkreten Prozesseigenschaften mit betrachtet werden müssen.
Wie lassen sich Prozesseigenschaften über Modellannahmen erfassen?
Für eine produktübergreifende Beurteilung können die konkreten Eigenschaften – beispielsweise die Bedingungen der Nutzung eines bestimmten Produkts – häufig nicht herangezogen werden. Deshalb wird hier auf Modellannahmen zurückgegriffen. Ein Beispiel ist der Benzinverbrauch durch Kraftfahrzeuge: Hier geht es meist um den Verbrauch in einem definierten Testzyklus auf einer Standardstrecke von 100 Kilometern und nicht um reale Bedingungen.
Modellannahmen über die der Produktfertigstellung vor- und nachgelagerten Prozesse haben eine wichtige Funktion bei der Vermittlung zwischen den Produkteigenschaften und den Umweltwirkungen. Der Entwicklungsstand solcher Modelle in den verschiedenen Prozessbereichen variiert jedoch stark.
Prozessmodelle zu den Vorkettenprozessen des Materialeinsatzes
Materialeinsätze spielen bei allen Arten von Lebenszyklusanalysen (Englisch: Life Cycle Assessment – LCA; siehe Kapitel Ökobilanz) eine wichtige Rolle. Daher sind in den einschlägigen LCA-Datenbanken Sachbilanzwerte für verschiedenste Materialien hinterlegt. Zu diesen Sachbilanzwerten gehören die aggregierte Menge an
- Energieeinsatz,
- Rohstoffeinsätzen,
- Transportentfernungen,
- entstehenden Emissionen, die aus allen Prozessen in der Vorkette resultieren.
Diese Werte basieren üblicherweise auf einer großen Zahl konkreter Sachbilanzwerte für die Einzelprozesse. Da viele der Prozesse z. B. im Bereich der Verhüttung von Metallen oder dem Abbau von Erzen gleichzeitig mehreren Zielmaterialien dienen, sind bei der Zusammenführung der Sachbilanzwerte für ein konkretes Material eine Reihe von Allokationsannahmen zu treffen. Als Allokation wird die Zuteilung der Umweltlasten über den Lebensweg bezeichnet, wenn diese auf mehrere Systeme aufgeteilt werden müssen. Hierfür gibt es keine eindeutige naturwissenschaftlich begründete Methodik, sondern vielmehr unterschiedliche Begründungszusammenhänge und Konventionen.
Für Sachbilanzwerte werden häufig Mittelwertbildungen über eine Vielzahl von Anlagen an unterschiedlichsten Standorten, von sehr vielfältigen Transportzusammenhängen und von Rohstoffabbauprozessen unter stark abweichenden Umfeldbedingungen herangezogen. Dadurch werden diese Daten allerdings vom konkreten regionalen Zusammenhang losgelöst und abstrahiert. Für eine weite und einheitliche Verwendung solcher Daten ist dies notwendig. Bei der Bewertung der Umweltwirkungen der Ressourceninanspruchnahme führt dies in einigen Bereichen zu gravierenden Bewertungsproblemen. So ist zum Beispiel mit Bezug auf die Biodiversität der Flächenverbrauch keineswegs unabhängig von den konkreten Standortbedingungen: es macht einen Unterschied, ob ein Quadratkilometer tropischer Regenwald oder intensiv landwirtschaftlich genutzter Boden betroffen ist. Gleiches gilt für eine Reihe weiterer umfeldspezifischer Umweltwirkungen, z. B. den Wasserverbrauch aber auch die vorrangig lokal wirkenden Emissionen wie Staub oder Lärm. Diese bleiben damit bei generischen Umweltwirkungsbetrachtungen (Life-Cycle Impact Assessment - LCIA) häufig unberücksichtigt.
Im Ergebnis stehen in den LCA-Datenbanken meist gut abgesicherte generische Sachbilanzwerte zur Verfügung. Im konkreten Einzelfall können sie jedoch deutlich von den Sachbilanzwerten einer ganz konkreten Lieferkette (Vorkette) eines konkreten Produktherstellers abweichen. Damit sind sie nicht in allen Umweltwirkungsbereichen geeignet, „wahre“ Umweltwirkungen zu ermitteln.
Ebenso ist zu beachten: Die Transparenz in Hinblick auf die Streubreite der zugrundeliegenden Einzeldaten, die verwendeten Allokationsmethoden und die Unsicherheiten der Daten ist zwischen den Sachbilanzdatensätzen aus verschiedenen Quellen sehr unterschiedlich (siehe Text zu Datenbanken).
Prozessmodelle zu den Nutzungsbedingungen
Umfassende Produktökobilanzen basieren regelmäßig auch auf Annahmen zu Art und Intensität der Produkte in Nutzung. Diese Annahmen werden üblicherweise spezifisch für die konkreten Bilanzierungen definiert und festgelegt. Standardmodelle zu Nutzungsszenarien sind nicht verbreitet.
Im Bereich von Produkttests oder auch Produktzulassungen sind entsprechende Testverfahren bekannt, denen jeweils auch eine Annahme zu typischen und / oder besonders kritischen Nutzungsprozessen zugrunde liegt. Standardisierte Testanforderungen gibt es bei Produkten und Nutzungseigenschaften, von denen besondere Risiken ausgehen können, zum Beispiel in Bezug auf die elektrische Sicherheit oder die Schadstofffreisetzung aus Spielzeugen.
Für den Energieverbrauch gibt es in einigen Produktgruppen etablierte Branchenstandards, z. B. zu Standard-Waschzyklen bei Spülmaschinen oder Haushaltswaschmaschinen. In vielen Produktgruppen zeigte sich aber auch die Notwendigkeit, neue oder ergänzende Nutzungsmodelle festzulegen sowie einschlägige Standardisierungsprozesse anzuschieben.
Vergleichbar verbindlich festgelegte Modellannahmen für andere Bedingungen des Nutzungsprozesses, die für die Ressourceninanspruchnahme relevant sind, existieren, wenn überhaupt, nur in Einzelfällen. Zu solchen Bedingungen gehören die Lebensdauer, der Bedarf an Hilfs- oder Betriebsstoffen oder auch die Schadstofffreisetzungen während der Nutzung. Ein Beispiel ist der Standardmesszyklen zur Festlegung des Treibstoffverbrauches oder zur Messung von Emissionen von Kraftfahrzeugen.
Bei der Diskussion und Prüfung wie Ökodesign die Ressourceninanspruchnahme in der Nutzungsphase beeinflusst, müssen also auch entsprechende Modellannahmen zu den Nutzungsbedingungen getroffen werden. Dabei ist die Nutzung von Produkten zum einen stark von unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Lebensstilen abhängig, die sich im Zeitverlauf verändern. Zum anderen sind die Umfeldbedingungen innerhalb der Märkte durchaus vielfältig. Aus diesem Grund stellen „Standard-Nutzungsmodelle“ auch hier eine vergleichsweise hohe Abstraktion der Wirklichkeit dar. Es ist es wichtig, dass deutlich unterschieden wird, wo diese Abstraktion jeweils in der Bandbreite der realen Nutzungsbedingungen zu verorten ist:
- Für die Hochrechnung von Ressourceninanspruchnahmen – z. B. in Hinblick auf die Gesamtrelevanz oder den Beitrag einer Produktgruppe zum Stromverbrauch o. ä. – sind Modelle anzuwenden, die eine möglichst gute Annäherung an eine repräsentative durchschnittliche Nutzung darstellen.
- Für Analysen, die auf einen möglichst sicheren Ausschluss möglicher Risiken abzielen, sind dagegen eher „Worst-case“-Modelle notwendig. Wobei hier in Bezug auf den Grad des Vorsorgecharakters noch zwischen praxisüblichen sowie konservativen „Worst-case“-Annahmen unterschieden werden kann.
Modelle zu den Entsorgungsprozessen
In Bezug auf die Entsorgungs- und Wiederverwendungsprozesse sind in LCA-Datensätzen meist nur Kreislaufraten für die jeweiligen Materialien hinterlegt. Dabei handelt es sich überwiegend um eine der beiden folgenden Modellannahmen zum Recycling:
- Eine an der theoretischen Rezyklierbarkeit orientierte vergleichsweise hohe Kreislaufrate (bei Metallen > 90 %)
- Eine an den realen Gesamtmengenstromdaten des jeweiligen Materials orientierte Rate (bei Massenmetallen eher im Bereich von 20-50 %)
Beide Kreislaufraten sind in Bezug auf Materialien, die in komplexen Endverbrauchsprodukten enthalten sind, vergleichsweise weit von der Realität entfernt. Insbesondere aufgrund der nur unvollständig getrennten Sammlung und Erfassung sowie durch Abtrennverluste im Bereich der (Vor-)Behandlung sind diese Raten regelmäßig deutlich geringer. Die „realen“ Gesamtmengenstromdaten, insbesondere Massenmetallen, werden üblicherweise von wenigen homogenen Altmaterialströmen dominiert. Eine Ausnahme sind Produktgruppen, in denen eine direkte Rücknahme oder eine sehr gezielte Altprodukterfassung und ‑behandlung erfolgt. Beispiele wären hier z. B. alte Medizingeräte oder zum Teil auch alte Werkzeugmaschinen.
Entsorgungsprozessmodelle, die geeignet sind, die Auswirkungen einer recyclinggerechten Produktgestaltung zu identifizieren und zu quantifizieren, müssen vergleichsweise spezifisch die in der Entsorgungspraxis durchgeführten Prozessschritte mit ihrer jeweiligen Effizienz abbilden.
Dies bedeutet allerdings nicht zwingend, dass für jede Produktgruppe grundlegend neue Modelle entwickelt werden müssen. Die Zahl der in der Entsorgungspraxis betriebenen Behandlungs-, Trenn- und Verwertungsprozesse ist nicht beliebig groß. Notwendig ist es aber, derartige Grundmodelle in wichtigen Parametern an die jeweilige Produktgruppe und die dort gegebenen Rahmenbedingungen anpassen zu können.
Dies gilt beispielsweise in Bezug auf Erfassungs- und Getrennthaltungsgrade, die zum Teil durch abfallrechtliche Vorgaben definiert werden. Genauso gilt es für die Frage, welche Komponenten oder Baugruppen im Rahmen der Vorbehandlung üblicherweise abgetrennt und separat der weiteren Verwertung zugeführt werden. Derartige Entsorgungsprozessmodelle sind bislang nur in Ansätzen verfügbar.
Design & Lieferketten
Für das Ökodesign ist es wichtig, die Umweltwirkungen entlang des gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen. Dies bezieht sich zum einen auf die Umweltwirkungen der direkten Produkteigenschaften. Zum anderen sind auch Informationen zu den zukünftigen Nutzungsbedingungen hilfreich, um das Produkt daran anknüpfend zu optimieren.
Bei der Materialauswahl sind insbesondere Fragen zu den Vorketten-Prozesseigenschaften von hoher Bedeutung:
- Bestehen beim Produkthersteller, für den das Ökodesign erarbeitet wird, Kenntnisse über die spezifischen Prozesseigenschaften der Vorketten?
- Hat der Produkthersteller Einfluss auf diese Prozesseigenschaften?
Hierzu sind zwei grundlegende Marktpositionen zu unterscheiden:
- Hersteller mit voller Designkontrolle. Diese können entlang der Lieferkette Anforderungen
an die Prozesseigenschaften und damit die Ressourceninanspruchnahme spezifizieren und die Art und Weise der Informationsweitergabe entlang der Lieferkette definieren. - Hersteller, die am „anonymen“ Anbietermarkt kaufen. Diese haben keine Kenntnis über die realen Prozesseigenschaften ihrer Lieferkette und sie können keinen direkten Einfluss auf Veränderungen dieser Eigenschaften nehmen. Sie können gegebenenfalls indirekt Kenntnis erhalten, indem sie publizierte Referenzdarstellungen o. ä. zur Rate ziehen.
In der Praxis finden sich vielfach Mischungen beider Marktsituationen, denn wirklich „volle“ Designkontrolle existiert nur in wenigen Ausnahmefällen (z. B. Luftfahrt- oder Automobilindustrie). Zudem sind viele Hersteller und Importeure in der Situation, dass sie zwar ihre unmittelbaren Vorlieferanten und die dort etablierten Prozesse kennen, nicht aber die weiter vorgeschalteten Akteure und Bedingungen.
Tendenziell ist festzustellen, dass insbesondere kleinere Marktakteure über keine ausreichende Marktmacht verfügen, um umfassende Informationen zu erhalten oder gar Einfluss zu nehmen. Selbst marktbeherrschende Unternehmen müssen ab einer bestimmten Tiefe der Lieferkette Vorprodukte aus „anonymen“ Anbietermärkten kaufen (müssen). Ebenso verändern sich häufig Lieferkettenbeziehungen im Zeitverlauf. Alle größeren Hersteller haben parallel unterschiedliche Lieferanten für Vorprodukte und Komponenten und diese werden teilweise sehr häufig gewechselt.