Worum geht es?
Die Abwesenheit von Problemstoffen in einem Produkt ist sowohl aus Umwelt- als auch aus Gesundheitsschutzperspektive ein anzustrebendes Ziel der Produktentwicklung. So einfach dieser Grundsatz zunächst ist, so komplex gestaltet er sich bei der Umsetzung.
Zum einen werden die Funktionalitäten heutiger technischer Materialien oder Bauelemente vielfach durch Stoffe mit und gerade wegen ihrer problematischen Eigenschaften erreicht. Der Einsatz von weniger problematischen Alternativen ist ggf. mit Qualitätseinbußen bei der Funktionalität des Endprodukts verbunden. Daher ist abzuwägen, ob die möglichen Risiken und Nutzen einen Verzicht auf Problemstoffe rechtfertigen bzw. nahelegen.
Zum anderen entstehen Risiken durch Problemstoffe erst dann, wenn diese im Lebensweg des Produktes freigesetzt werden (können) und es dadurch zu einer Exposition gegenüber Mensch oder Umwelt kommt. Bei einer vollständigen Betrachtung sind entsprechend nicht nur das Produkt selbst, sondern gerade auch die Prozesse der Herstellung, der Nutzung und der Entsorgung zu betrachten.
Dieser Artikel erläutert diese Zusammenhänge und zeigt, wie richtungssicher vorgegangen werden kann, ohne die Komplexität vollständiger Risikoabschätzungen bewältigen zu müssen.
Konzeptionelle Grundlagen
Problemstoffarmut besagt,
- dass Produkte keine Stoffe enthalten sollen, die die menschliche Gesundheit oder der Umwelt schädigen können.
- dass bei unvermeidbarer Verwendung gefährlicher Stoffe, diese so gehandhabt und im Produkt integriert sein sollen, dass Mensch und Umwelt mit ihnen nicht in Kontakt kommen.
Für die Produktgestaltung ist es daher notwendig:
- gefährliche Stoffe zu erkennen,
- die Notwendigkeit ihres Vorhandenseins im Produkt zu begründen,
- ggf. eine Abschätzung der dadurch entstehenden Risiken vorzunehmen,
- darauf basierend eine Entscheidung zu treffen, wie solche Stoffe im Produkt ersetzt oder sicher für Mensch und Umwelt verwendet werden können.
Der Designansatz beschränkt sich bei diesen Betrachtungen nicht nur auf das Produkt in dessen Nutzungsphase, sondern bezieht die Herstellung und Entsorgung in die Überlegungen mit ein.
Die kommenden Abschnitte sollen einen Überblick über verschiedene Aspekte und Konzepte geben, die zur Umsetzung von Problemstoffarmut hilfreich sind. Insbesondere das Konzept der chemikalienbedingten Risiken ist zentral, um problemstoffarme Produkte zu gestalten. Um eindeutiger zu sprechen, wird im Folgenden der Begriff Problemstoffe durch ‚gefährliche Stoffe‘ ersetzt, dem eine eindeutige chemikalienrechtliche Definition zugrunde liegt.
Zentrale Begriffe
Die Kommunikation über gefährliche Stoffe im Produktdesign kann durch die Verwendung definierter Begrifflichkeiten klarer werden. Insbesondere die schon im Namen Produktdesign verwendete Bezeichnung Produkt ist in diesem Zusammenhang missverständlich. Im Folgenden werden einige Definitionen des Chemikalienrechts nach REACH Artikel 3a erläutert, die eine eindeutige Bezeichnung der Art eines Produktes erlauben.
- Stoffe sind chemische Elemente und deren Verbindungen – synthetisch hergestellt oder aus der Natur gewonnen werden. Zusatzstoffe, die zur Stabilisierung des Stoffes notwendig sind, und herstellungsbedingte Verunreinigungen gehören ebenso zum Stoff. Deswegen muss ein Stoff nicht notwendigerweise zu 100% aus nur einer einzigen Substanz bestehen.
- Gemische sind absichtlich hergestellte Mischungen aus Stoffen. Sie können zur Herstellung weiterer Gemische, wie z. B. Additivmischungen, oder durch gewerbliche oder private Endverbraucher verwendet werden. Es resultieren beispielsweise Farben oder Klebstoffe, die vielfach als chemische Produkte bezeichnet werden. Die Funktion von Stoffen und Gemischen ist durch ihre chemische Zusammensetzung definiert.
- Erzeugnisse sind Objekte, deren Funktion im Wesentlichen durch die physikalische Form und weniger durch ihre chemische Zusammensetzung definiert ist. Gegenstände und Produkte im normalen Sprachgebrauch sind in der Regel Erzeugnisse. Ein Stuhl ist nur deswegen ein Stuhl, weil er eine Form hat, die es erlaubt, sich darauf zu setzen und ihn zu bewegen. Seine chemische Zusammensetzung ist unerheblich - er kann aus unterschiedlichen Materialien bestehen, z. B. Plastik, Holz oder Metall.
Das ökologische Produktdesign zielt normalerweise auf die Verbesserung von Erzeugnissen ab. Aber auch Entwickler:innen von Stoffen und Gemischen orientieren sich an entsprechenden Prinzipien, z. B. im Kontext der nachhaltigen oder grünen Chemie.
Welche Chemikaliengesetze sollten Designer:innen kennen?
Die Herstellung, Vermarktung und Verwendung von Stoffen und Gemischen unterliegt der EU-Chemikalienverordnung REACH. Diese Abkürzung steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals‘. Ziel der 2007 in Kraft getretenen Verordnung ist es unter anderem, sicherzustellen
- dass durch Stoffe und Gemische keine Risiken verursacht werden,
- dass entsprechende Informationen durch die Marktakteure erzeugt werden,
- dass Informationen allen zur Verfügung gestellt werden.
Die REACH-Verordnung ist für Designer:innen deshalb wichtig, weil sie eine breite Informationsgrundlage zu den Eigenschaften (gefährlicher) Stoffe schafft, auf die bei der Überprüfung der Produkte zurückgegriffen werden kann.
Die Vermarktung von Stoffen und Gemischen unterliegt zudem der EU-Verordnung zur Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen und Gemischen, der CLP-Verordnung. CLP steht dabei für Classification, Labelling and Packaging. Ziel dieser Verordnung ist es, Regeln dafür festzulegen, wie die gefährlichen Eigenschaften von Stoffen ermittelt und kommuniziert werden. Die CLP-Verordnung ist für Designer:innen wichtig, weil sie die Kommunikation über und das Auffinden von gefährlichen Stoffen vereinfacht.
Des Weiteren gibt es für bestimmte Gemische, z. B. Kosmetika oder Biozidprodukte, weitere Regelungen. Diese speziellen Regelwerke sind für Designer:innen bei der Bearbeitung entsprechender Gemische (oder deren Verpackungen) wichtig.
Risikokonzept für Chemikalien
Ein chemikalienbedingtes Risiko ergibt sich aus der Kombination der Gefährlichkeit eines Stoffes und dem Ausmaß, mit dem Mensch und Umwelt mit dem Stoff in Kontakt kommen (Expositionshöhe). Die folgende Formel gibt diesen Zusammenhang wieder:
Fehlt einer der beiden Faktoren, ist also kein gefährlicher Stoff vorhanden oder kommt es nicht zu einer Exposition, besteht kein Risiko. Dies verdeutlicht die beiden zentralen Ansatzpunkte zur Umsetzung des Prinzips der Problemstoffarmut. Im Folgenden werden alle drei Teile der Formel weitergehend erläutert.
Gefährlichkeit
Die Gefährlichkeit eines Stoffes ist durch seine intrinsischen, das heißt seine unveränderlichen und ihn kennzeichnenden Eigenschaften bedingt. Grundsätzlich wird unterschieden in:
- physikalisch-chemische Gefährlichkeit,
- Gefährlichkeit für die menschliche Gesundheit (Humantoxizität) und
- Gefährlichkeit für die Umwelt (Ökotoxizität).
Im Folgenden wird nur auf Stoffe mit einer Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt eingegangen, da die physikalisch-chemischen Eigenschaften für das ökologische Design von Produkten in der Regel nicht von Bedeutung sind.
Die Stoffeigenschaften werden durch standardisierte Tests von den Inverkehrbringern der Stoffe identifiziert. Allerdings wird nicht immer überprüft, ob alle Eigenschaften vorliegen oder nicht. Das Ausmaß der Prüfung richtet sich nach dem Vermarktungsvolumen und der bekannten Gefährlichkeit des Stoffes. Z. B. kann durch Fütterungsversuche mit Ratten die Dosis eines Stoffes ermittelt werden, ab der schädliche Wirkungen wie beispielsweise Lähmung oder Tod auftreten. Durch den Vergleich der ermittelten Dosis mit entsprechenden Schwellenwerten zeigt sich, ob der Stoff die Kriterien für eine bestimmte gefährliche Eigenschaft erfüllt und z. B. der Gefahrenhinweis (H-Sätze, von Englisch Hazard) „lebensgefährlich bei Verschlucken“ oder „gesundheitsschädlich bei Verschlucken“ zu vergeben ist. Dieses Verfahren nennt sich ‚Einstufung‘ und ist gesetzlich in der CLP-Verordnung festgelegt. Für jeden Stoff sollte so das Vorhandensein möglichst aller gefährlicher Eigenschaften bezüglich der Gesundheit und Umwelt ermittelt werden. Auch Gemische müssen eingestuft werden. Hierfür gelten ähnliche Regeln wie für Stoffe. Allerdings müssen außer zur Ermittlung der physikalisch-chemischen Gefahren keine Tests durchgeführt werden, weil die Eigenschaften des Gemisches aus denen der Inhaltsstoffe berechnet werden können.
Die ermittelten gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes müssen vom Inverkehrbringer kommuniziert werden:
- auf dem Etikett der Chemikalie durch Kennzeichnung mit Gefahrensymbolen und Gefahrenhinweisen,
- im Sicherheitsdatenblatt, das mit der Chemikalie mitzuliefern ist, durch Nennung von Gefahrenklasse, Gefahrenkategorie und Gefahrenhinweisen.
Stoffe, die schwerwiegende und irreversible Gesundheitsschäden verursachen oder Ökosysteme nachhaltig stören können, sollten für Produktdesigner:innen höchste Priorität haben. Sie werden als „besonders besorgniserregende Stoffe“ bezeichnet; Englisch: Substances of Very High Concern, kurz SVHC. Dies sind Stoffe, die:
- Krebs auslösen können (C), Genmutationen hervorrufen (M) oder die Reproduktionsfähigkeit (R) stören, kurz CMRs
- in der Umwelt kaum abgebaut werden (persistent), sich dort anreichern (bioakkumulierbar) und toxisch sind (kurz: PBTs) bzw. sehr persistent sind (vP = very persistent) und sehr bioakkumulierbar (vB = very bioaccumulative) sind, kurz vPvBs
- nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, ebenso besorgniserregend sind wie die oben genannten Stoffe und die im Einzelfall ermittelt werden. Dazu zählen Stoffe, die durch Beeinflussung des Hormonsystems schädliche Wirkungen haben (Englisch : endocrine disrupting chemicals, EDC).
Ein im europäischen Chemikalienrecht erklärtes Ziel ist, dass die von besonders besorgniserregenden Stoffen ausgehenden Risiken ausreichend beherrscht werden und dass diese Stoffe schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder -technologien ersetzt werden, sofern diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind.
Informationen über die Gefährlichkeit sind für viele Stoffe bereits im Internet verfügbar. Vier zentrale Informationsquellen sind:
Einstufungs- und Kennzeichnungsverzeichnis
Im europäischen Einstufungs- und Kennzeichnungsverzeichnis werden die von den Inverkehrbringern der Stoffe ermittelten gefährlichen Eigenschaften veröffentlicht.
ECHA-Datenbank der registrierten Stoffe
Die Nutzung der Datenbank der registrierten Stoffe erfordert etwas Erfahrung im Umgang mit Chemikalieninformationen. In dieser Datenbank werden Informationen über Stoffe veröffentlicht, die bei der europäischen Chemikalienagentur registriert wurden.
Unter dem Menüpunkt „Classification and Labelling & PBT-assessment“ findet sich die Einstufung eines Stoffes sowie Informationen darüber, welche gefährlichen Eigenschaften getestet wurden. Unter „PBT-assessment“ wird angezeigt, ob ein Stoff ein PBT / vPvB ist. In weiteren Menüpunkten können die Testergebnisse für die verschiedenen gefährlichen Eigenschaften eingesehen werden.
eChem Portal
Das eChem Portal der OECD ist eine Metadatenbank für Stoffinformationen, die auf verschiedenste Quellen aus den OECD-Ländern zugreift. Auch hier ist eine gewisse Vertrautheit mit Chemikalieninformationen hilfreich, um die Datenbank zu nutzen.
Das eChem Portal kann hilfreich sein, wenn über die ersten beiden Informationsquellen keine Daten über den Stoff gefunden werden.
REACH-Kandidatenliste
Erfüllen Stoffe nach einer Prüfung durch die zuständigen europäischen Gremien die oben genannten Kriterien für einen besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC), so werden sie in die Liste der für eine Zulassung in Frage kommenden besonders besorgniserregenden Stoffe - kurz Kandidatenliste - aufgenommen.
Der jeweils letzte Stand dieser Kandidatenliste wird von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA auf ihrer Internetseite veröffentlicht.
SCIP-Datenbank
Mit der SCIP-Datenbank (Substances of Concern In Products) wird sichergestellt, dass die Informationen über Erzeugnisse, die Stoffe der Kandidatenliste enthalten, während des gesamten Lebenszyklus von Produkten und Materialien – auch in der Abfallphase – verfügbar sind. Die in der Datenbank enthaltenen Informationen werden anschließend den Abfallentsorgungsunternehmen und Verbraucher:innen zur Verfügung gestellt.
Exposition gegenüber Stoffen
Wie aus der Formel zu Beginn des Kapitels ersichtlich ist, kann ein gefährlicher Stoff nur dann ein Problem hervorrufen, wenn es auch zu einer Exposition von Mensch und/ oder Umwelt kommt. Dies ist der Fall, wenn der Stoff in Kontakt mit Mensch und Umwelt kommt. Eine Exposition wird in der Regel konkret beschrieben hinsichtlich:
- Was ist in Kontakt mit der Chemikalie (Schutzgut)?
- Wie lange dauert der Kontakt (Expositionsdauer) und wie häufig findet sie statt (Expositionshäufigkeit)?
- Wie viel eines Stoffes kommt in Kontakt (Expositionshöhe)?
Die Umweltschutzgüter sind Luft, Boden, Wasser und Sedimente sowie die Organismen (Biota). Beim Schutzgut Gesundheit wird in Verbraucher:innen und Arbeitnehmer:innen unterschieden. Die Nahrungskette vermittelt die Exposition des Menschen „über“ die Umwelt, da Stoffe, die sich in der Umwelt anreichern, über die Nahrung aufgenommen werden können.
Bei der Exposition des Menschen werden zusätzlich sogenannten Expositionspfade unterschieden:
- der Kontakt über die Atemwege (Inhalation in mg/m³),
- über die Haut (dermale Exposition in mg/cm²),
- über den Magen-Darm-Trakt (orale Aufnahme).
Die Exposition wird meist als ‚externe Dosis‘ ausgedrückt, also der Menge oder Konzentration, mit der ein Kontakt mit dem Menschen auftritt. Insbesondere im Arbeitsschutz werden auch interne Dosen ermittelt, indem die Konzentration eines Stoffes z. B. im Blut oder im Fettgewebe ermittelt wird (Humanbiomonitoring).
Eine Exposition ist dann möglich, wenn ein Stoff aus einem Prozess oder einem Produkt freigesetzt wird (Emission) und zum Schutzgut gelangt (Verteilung). Ist ein Stoff in einem Erzeugnis fest eingebunden, z. B. ein Farbpigment in einem Plastikstuhl, so ist es unwahrscheinlich, dass eine Person, die auf dem Stuhl sitzt, diesen Stoff einatmet; entsprechend gering ist die Expositionswahrscheinlichkeit über den Inhalationspfad. Eine Aufnahme in den Körper nur dann stattfinden kann, wenn der Stoff aus dem Stuhl wirklich freigesetzt wird. Je nach Festigkeit der Bindung an die Kunststoffmatrix wäre allerdings ggf. eine dermale Exposition (Hautkontakt) denkbar.
Die Expositionshöhe der Umwelt, ausgedrückt als Konzentration eines Stoffes in einem Umweltkompartiment, ist das Ergebnis komplexer Verteilungs- und Umwandlungsprozesse, die durch Reaktionen und Interaktionen mit den Organismen oder den abiotischen Faktoren entstehen. Diese Konzentrationen werden vielfach modelliert und in einigen Fällen auch gemessen. Nach Wasserrahmenrichtlinie der EU müssen z. B. 33 prioritäre Umweltschadstoffe regelmäßig in den Oberflächengewässern gemessen werden.
Die Höhe einer Exposition gegenüber einem Stoff ist also davon abhängig, welche Menge aus einem Prozess / Produkt freigesetzt wird, wie sich die freigesetzte Stoffmenge verteilt und ggf. abgebaut wird und welcher Kontakt mit dem jeweiligen Schutzgut besteht.
Leider gibt es zur Abschätzung freigesetzer Stoffen aus der Nutzungsphase von Erzeugnissen keine etablierten Instrumente oder Modelle. Eine Ausnahme bildet das Schema des „Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten" (AgBB), mit dessen Hilfe Bauprodukte, aber auch z. B. Möbel, darauf hin untersucht werden können, ob sie möglicherweise gesundheitsschädliche flüchtige organische Verbindungen (VOC = volatile organic coumpunds) in die Innenraumluft emittieren.
Zur Ermittlung der Exposition für Arbeitnehmer:innen hingegen sind einige Instrumente veröffentlicht, die sich aber nur auf Emissionen aus Gemischen beziehen. Dies ist für Produktdesigner:innen weniger interessant. Ein entsprechender Ansatz und das Vorgehen werden am Ende dieses Kapitels erläutert.
WICHTIG: Aus der Sicht des Produktdesigns ist zu beachten, dass in der Abfallphase von Produkten (Erzeugnissen) gebundene Stoffe vielfach freigesetzt und in die Umwelt emittiert werden, z. B. Schwermetalle werden in der thermischen Verwertung in die Luft emittiert.
Risiko und Schäden
Im Chemikalienrecht ist ein grundlegendes Verfahren zur Berechnung eines Risikos durch Chemikalien definiert. Hiernach besteht ein Risiko, also die Möglichkeit, dass ein Schaden eintritt, wenn die Expositionshöhe gegenüber einem Stoff den Schwellenwert überschreitet, oberhalb dessen schädliche Wirkungen auftreten. „Die Dosis macht das Gift“, heißt es angelehnt an den Arzt Paracelsus. Es gibt dabei verschiedene Arten von Schwellenwerten, die je nach Datenlage und Methode etwas anders abgeleitet werden. Im Kontext von REACH wird die „Dosis unterhalb derer keine schädlichen Effekte auf die Gesundheit beobachtet wurden“ als Maß für die Gefährlichkeit in Bezug auf die Gesundheit und die „Konzentration unterhalb derer keine schädlichen Effekte auf Wasserorganismen bekannt sind“ in Bezug auf die Umwelt verwendet.
Für ein Risiko gilt also:
Auch bei Vorliegen eines Risikos muss es nicht notwendigerweise auch tatsächlich zu einem Schaden kommen. Dennoch werden im Sinne des Vorsorgeprinzips für Stoffe, für die bei bestimmten Verwendungen ein Risiko ermittelt wird, Maßnahmen zum Risikomanagement notwendig. Das heißt für das ökologische Produktdesign, dass jede Risikoabschätzung ein Unterschreiten der sicheren Dosis ergeben sollte.
Welche rechtlichen Vorgaben sind besonders relevant?
Die EU-Chemikalienverordnung REACH definiert in einigen wenigen, aber zentralen Punkten stoffliche Vorgaben für Erzeugnisse:
- Beschränkungen im Anhang XVII von REACH: Hier wird für eine Reihe von Stoffen festgelegt, dass sie in Erzeugnissen gar nicht, nur in geringen Konzentrationen oder unter bestimmten Bedingungen verwendet werden dürfen.
- Kommunikationsanforderungen für SVHC auf der Kandidatenliste: Diese Stoffe sollten nach Möglichkeit nicht verwendet werden. Sind sie dennoch in Erzeugnissen in Konzentrationen oberhalb von 0,1% enthalten, so muss der Hersteller des Erzeugnisses dies seinen gewerblichen und privaten Kunden mitteilen.
Weitere stoffbezogene Vorgaben für Erzeugnisse finden sich teilweise in produktbezogener Gesetzgebung, wie z. B. die Richtlinie über gefährliche Stoffe in elektrischen und elektronischen Geräten oder die Altautorichtlinie.
Grundsätzlich ermächtigt die Ökodesign-Richtlinie dazu, verpflichtende Anforderungen an die Gestaltung von Produkten zu erlassen, die deren Umweltleistung verbessern. Bislang wurden bei der Umsetzung dieser Rahmen-Richtlinie mit Hilfe von Durchführungsverordnungen für unterschiedliche Produktgruppen wie Haushaltslampen, Haushaltswaschmaschinen oder Fernseher vor allem Anforderungen an die Energieeffizienz formuliert. Eine neue Ökodesign-Verordnung soll künftig fast alle Produktgruppen umfassen und umfangreiche Anforderungen stellen (Stand 2022).
Rechtlich bietet die Ökodesign-Richtlinie bzw. künftig - Verordnung aber auch die Möglichkeit, verbindliche Mindestanforderungen an den Schadstoffgehalt und / oder eine emissionsarme Produktgestaltung zu formulieren. Würden diese Anforderungen bei Produkten der jeweiligen Produktgruppe dann nicht erfüllt, dürften die entsprechenden Geräte nicht auf den europäischen Markt gebracht werden.
Gerade aus einem engen Zusammenspiel von REACH und der Ökodesign-Richtlinie könnten sachgerechte allgemeinverbindliche Anforderungen an die Problemstoffarmut von Produkten abgeleitet werden, wie einschlägige Analysen zeigen, z. B. das Arbeitspapier Schadstoffbewertung in Produkten. Bislang macht der europäische Gesetzgeber aber (noch) keinen Gebrauch von diesem Potenzial.
Welche Ansätze für das ökologische Produktdesign gibt es?
Zur Integration des toxischen / ökotoxischen Aspekts der in einem Produkt enthaltenen Stoffe in das Ökodesign sind grundsätzlich zwei Ansätze zu unterscheiden:
- gefahrenbasierte Ansätze, die allein die gefährlichen Eigenschaften als Kriterium verwenden,
- risikobasierte Ansätze, die neben der Gefährlichkeit auch Expositionsaspekte berücksichtigen.
Gefahrenbasierte Ansätze des Produktdesigns
Gefahrenbasierte Ansätze haben das Ziel, die Verwendung (besonders) gefährlicher Stoffe in Erzeugnissen so weit wie möglich zu vermeiden, d.h. dass Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften durch andere Stoffe ersetzt werden bzw. dass nur Materialien zum Einsatz kommen, die keine gefährlichen Stoffe enthalten.
Gefahrenbasierte Ansätze sollten in jedem Fall für das Design chemischer Verbraucherprodukte verwendet werden, denn hier gilt es jeden möglichen Kontakt mit gefährlichen Stoffen zu vermeiden. Der Vermeidungsansatz beugt auch nicht vorgesehenen oder sachgerechten Nutzungen von Produkten vor, z. B. wenn ein Gartentisch aus Kunststoff als Schneidunterlage für Lebensmittel verwendet wird. Ebenso sollte bei Verbraucher:innen von einer geringen Sachkenntnis im Umgang mit Chemikalien ausgegangen werden, etwa bei chemischen Produkten wie Reinigungsmitteln.
Gefahrenbasierte Ansätze vermeiden mögliche Risiken vollständig, da keine Gefährlichkeit vorhanden ist. Für die Umsetzung dieses Ansatzes können verhältnismäßig einfache Kriterien etabliert werden, wie z. B. der Ausschluss von Stoffen mit bestimmten Eigenschaften, um Orientierung für die Materialauswahl eines Produktes zu geben, oder die Einführung von Kriterien für essentielle Verwendungen. Diese Kriterien können auch relativ einfach in der Wertschöpfungskette überprüft werden. Die tatsächliche Kommunikation darüber, ob ein (Vor-)Produkt Stoffe mit definierten Gefährlichkeitsmerkmalen enthält, kann zwar zeitaufwändig sein, bedarf aber keiner besonderen Expertise. Eine einfache Prüfung der Lieferanteninformationen kann Auskunft geben. Aus diesen Gründen wird der gefahrenbasierte Ansatz auch im Rahmen der Umweltzeichenvergabe, z. B. des Blauen Engel und des Europäischen Umweltzeichens verwendet.
Nachteile an gefahrenbasierten Ansätzen für das Produktdesign sind:
- dass sie meist technisch nicht einfach umzusetzen sind. Das liegt daran, dass ein Ersatz für die zu vermeidenden Stoffe gefunden werden muss, der die gleiche Funktion erfüllt. Alternativ müsste das Produkt grundlegend verändert werden, z. B. durch Wahl eines anderen Grundmaterials, um die gewünschte Problemstoffarmut bei gleicher funktionaler Qualität zu erreichen.
- dass Alternativen ggf. teurer sind
- dass Alternativen ggf. nicht verfügbar sind
- dass sich Risiken verschieben. Wird beispielsweise auf die Verwendung von Flammschutzmitteln verzichtet, kann dadurch das Brandrisiko erhöht werden.
Risikobasierte Ansätze
Risikobasierte Ansätze erlauben eine differenziertere Betrachtung der Problemstellung. Ein gefährlicher Stoff kann zwar in einem Produkt vorhanden sein, aber in äußerst geringer Menge (niedrige Dosis), so dass keine Freisetzung stattfindet. Da keine Emission erfolgt, besteht damit auch keine Exposition. Oder eine Freisetzung findet nur dort statt, wo die Schutzgüter nicht betroffen sind, z. B. bei einer Freisetzung von Stoffen mit dem Deponiesickerwasser. Hierdurch müssen Stoffe in einem Produkt nur dann „ausgeschlossen“ oder ersetzt werden, wenn durch sie ein Risiko entstehen könnte.
Risikobasierte Ansätze sind komplexer zu handhaben, da Informationen über mögliche Expositionen von Mensch und Umwelt ermittelt und mit der Gefährlichkeit der Stoffe verbunden werden müssen. Da eine Ermittlung von Expositionshöhen sehr aufwändig ist, wird vielfach mit Parametern oder Informationen gearbeitet, die es erlauben, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der Exposition grob abzuschätzen. Dies sind z. B. die Mobilität des Stoffes, die Art, wie er im Produkt enthalten ist (Matrixbindung, Einschluss in „Container“) oder die Anwendungsbedingungen.
Vom Stoff zum Erzeugnis
Die Ermittlung „einfacher“ Indikatoren dafür, welche Stoffe wie in einem Produkt verwendet werden können, ist insbesondere dadurch erschwert, dass in einem Endprodukt in der Regel viele verschiedene (gefährliche) Stoffe enthalten sind. Es kann jedoch keine „Gesamtgefährlichkeit“ eines Erzeugnisses mit einer „Gesamtexposition“ von Mensch und Umwelt verglichen werden, da alle Stoffe sich individuell verhalten. So werden einige Stoffe leichter aus dem Produkt freigesetzt als andere und sich dies außerdem entlang des Lebenszyklus stark unterscheiden kann. Stoffe, die fest eingebunden sind, können unter Umständen in der Abfallphase wieder komplett freigesetzt werden.
Während die Gefährlichkeit der Stoffe nur von ihren intrinsischen Eigenschaften abhängt, ist ihre Freisetzung aus dem Erzeugnis von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, unter anderem von:
- der Art, wie der Stoff im Erzeugnis eingebunden ist,
- wie und wo das Erzeugnis verwendet wird,
- auf welche Weise das Erzeugnis hergestellt und
- auf welche Weise es entsorgt wird.
Standardisierte Ansätze, wie einfache Indikatoren für die Auswahl von Stoffen für z. B. Materialien oder Komponenten von Produkten abgeleitet werden können, existieren derzeit leider nicht. Qualitative Betrachtungen des Produktlebenswegs sowie möglicher Expositionen sind daher der erste sehr bedeutsame Schritt einer entsprechenden Analyse.
Ein interessantes, für Nichtexpert:innen in der Praxis aber leider nicht ganz einfach umsetzbares Konzept, ist das gestufte Vorgehen, auf das sich die Vertreter der verschiedenen Experten- und Interessengruppen im Rahmen der Umsetzung des Europäischen Umweltzeichens einigen konnten. Vereinfachend ausgedrückt kombiniert es einen gefahrenbasierten Ansatz, den generellen Ausschluss von Stoffen mit besonders problematischen Eigenschaften, mit einem risikobasierten Ansatz - der Prüfung des Expositionsrisikos. Dies geschieht derart, dass zum einen Stoffe bzw. besser gesagt Stoffeigenschaften in unterschiedliche Risikogruppen aufgeteilt werden und zum andern der Vorschlag gemacht wird, komplexe Produkte gedanklich in ihre Komponenten zu unterteilen. Je nachdem, ob es wahrscheinlich ist, dass es von Inhaltsstoffen in diesen Komponenten zu einer Exposition gegenüber Mensch und / oder Umwelt kommen könnte, werden dann die Stoffe unterschiedlicher Risikogruppen von der Verwendung in den jeweiligen Komponenten ausgeschlossen.
Wie lässt sich Problemstoffarmut erreichen?
Die Ausführungen dieses Kapitels sollen einen ersten Überblick geben, wie sich das Prinzip Problemstoffarmut umsetzen lässt. Für eine vertiefte Analyse und um konkrete Optionen zur Stoff- und Materialauswahl zu erarbeiten, sind diese Informationen zwar noch nicht ausreichend; sie bilden aber eine gute Grundlage für erste vorbereitende Schritte.
Konformität mit (stoff-)rechtlichen Anforderungen
Alle Erzeugnisse sollten mindestens den stoffrechtlichen Anforderungen genügen. Die Identifizierung dieser Anforderungen ist daher ein zentraler, erster Schritt:
- Recherche produktspezifischer Regelungen und Prüfung, ob bestimmte Stoffe (in bestimmten Bauteilen) nicht verwendet werden dürfen,
- Suche nach Beschränkungen oder Stoffverboten im Produkt im Anhang XVII der REACH-Verordnung
Werden entsprechende Regelungen gefunden, sollten diese unbedingt dem Produkthersteller mitgeteilt werden, damit sichergestellt werden kann, dass diese Anforderungen eingehalten werden.
Prüfung / Ausschluss von SVHC
Besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC) sind auszuschließen. Dies kann im Designprozess frühzeitig mit dem Produkthersteller vereinbart werden.
- Bei bestehenden Produkten, die neu gestaltet werden: Der Produkthersteller sollte von seinen Lieferanten erfragen, ob SVHC der Kandidatenliste bzw. Chemikalien, die die relevanten Einstufungskriterien nach Anhang I der CLP-Verordnung erfüllen, in den (Vor-)Produkten des Erzeugnisses in Konzentrationen > 0,1 % (Massenprozent) enthalten sind. Wenn ja sollte auf Ersatz der Stoffe gedrungen werden.
- Bei gänzlich neuen Produkten: bei der Materialauswahl sollten SVHC der Kandidatenliste oderChemikalien, die die relevanten Einstufungskriterien nach Anhang I der CLP-Verordnung erfüllen, von vornherein ausgeschlossen werden, z. B. durch Verträge mit Lieferanten.
In beiden Fällen können die stofflichen Anforderungen natürlich auch auf weitere Stoffe als die der Kandidatenliste ausgedehnt werden, z. B. auf alle Stoffe (und nicht nur die der Kandidatenliste), die nach Anhang I der CLP-Verordnung:
- krebserzeugend, erbgutverändernd und fortpflanzungsgefährdend sind (CMRs)
- schwer abbaubar, bioakkumulierend und toxisch sind (PBTs)
- sehr schwer abbaubar und sehr bioakkumulierend sind (vPvBs)
und (spätestens nach Überarbeitung der REACH-Verordnung):
- schwer abbaubar, mobil und toxisch sind (PMTs)
- sehr schwer abbaubar und sehr mobil sind (vPvMs)
- endokrine Disruptoren sind (EDs)
Prüfung, ob Ökolabel existieren
Für viele Produktgruppen existieren Ökolabel. Bekannte Label sind:
- der Blaue Engel (Deutschland),
- die EU-Blume (Europäisches Label),
- der Nordic Swan (Nordische Länder) und
- das Österreichische Umweltzeichen.
In den Anforderungen an Produkte, die die Ökolabel tragen (Kriterien) sind teilweise auch stoffbezogene Kriterien enthalten, die über die gesetzlichen Anforderungen und den Gehalt an SVHC hinausgehen.
Es empfiehlt sich, im dritten Schritt zu prüfen, ob es solche Label für das jeweilige Produkt gibt und wenn ja, ob und welche Anforderungen an die chemischen Inhaltsstoffe dort formuliert werden. Diese können dann für das Produktdesign übernommen werden.
Risikoüberlegungen
Sind gefährliche Stoffe im Produkt enthalten so können grobe Abschätzungen Auskunft darüber geben, ob dies zu einem Risiko führen könnte. Schritte für eine solche Abschätzung wären:
- Erstellung eines einfachen Schemas zum Produktlebenszyklus,
- qualitative Beschreibung der möglichen Freisetzungen und Expositionen von Mensch und Umwelt,
- Überlegungen, welche gefährlichen Eigenschaften bei diesen Expositionen zu Risiken führen könnten.
Entscheidung über die Verwendung von Stoffen
In vielen Fällen werden die oben genannten Schritte ausreichen, um zu entscheiden, ob und mit welchem Ziel weitergehende Überlegungen zur Stoffauswahl notwendig sind. Zumeist wird es dann hilfreich sein, eine Fachperson hinzuzuziehen, die eine detailliertere Analyse der möglichen Risiken durchführt. Erst an diesem Punkt ist es notwendig, sowohl komplexe und vollständige Informationen über die Produktzusammensetzung zu erhalten und mögliche Expositionshöhen konkreter abzuschätzen und ggf. zu quantifizieren.
Unterstützungsinstrumente zur Umsetzung
Leitfaden nachhaltige Chemikalien. Eine Entscheidungshilfe für Stoffhersteller, Formulierer und Endanwender von Chemikalien.
Umweltbundesamt (2016)
Der Leitfaden für nachhaltige Chemikalien des Umweltbundesamtes ist ein Instrument, das Hersteller und Anwender von chemischen Stoffen dabei unterstützen soll herauszufinden, ob ein Stoff in einer bestimmten Verwendung nachhaltig ist oder nicht. Der Ansatz ist Risiko basiert und beinhaltet damit sowohl Aspekte zur Gefährlichkeit als auch zur möglichen Exposition, die sich aus der konkreten Anwendung ergibt. Da die Nachhaltigkeit und nicht das Risiko der Anwendung bewertet werden soll, sind weitere Kriterien enthalten, wie die Verantwortlichkeit in der Lieferkette oder der Ressourcenverbrauch.
Für jedes Kriterium werden Indikatoren zur Bewertung gegeben. Diese sind für das ökologische Design aller Produkte, also auch von Erzeugnissen, anwendbar. Sie können Orientierung darüber geben, ob eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmter Anwendungskontext auf ein Risiko hindeuten oder nicht.
SUBSPORTplus
Das Portal bietet Ihnen Informationen, um Sie bei Ihren Aktivitäten zur Substitution von gefährlichen Stoffen zu unterstützen und um Ihnen dabei zu helfen einen Weg zu sicheren Alternativen zu finden. Erkunden Sie dieses Portal und zögern Sie nicht uns bei Fragen und Kommentaren zu kontaktieren.
Scan4Chem
Hersteller und Händler müssen Verbraucherinnen und Verbraucher auf Anfrage über „besonders besorgniserregende Stoffe“ in Produkten informieren, wenn sie darin in einer Konzentration über 0,1 Gewichtsprozent vorliegen. Die App Scan4Chem des Umweltbundesamtes hilft bei der Anfrage.