Die Beispiele sollen Lösungsvorschläge zeigen, inspirieren, und trotzdem auch immer einladen, alles kritisch zu hinterfragen ...
Smogfressender Beton
Produkte können nicht nur schadstofffrei sein, sie können auch Schadstofffreiheit schaffen. Der Chemiker Luigi Cassar hat einen innovativen Zementanstrich für Gebäude entwickelt, der sowohl die jeweilige Fassade auf natürlichem Wege von Schmutz und abgelagerten Schadstoffen reinigt als auch in der Umgebungsluft zum Schadstoffabbau und somit einer höheren Luftqualität beiträgt.
Dadurch wird zum einen der Einsatz schadstoffhaltiger Reinigungsmittel für Gebäudefassaden minimiert (diese Reinigungsmittel enthalten häufig Fungizide und Herbizide, um die Fassade von Algen- und Schimmelbefall zu reinigen und zu imprägnieren). Zum anderen werden bereits vorhandene Schadstoffe in der Luft abgebaut.
Der dünne Zementanstrich enthält sogenannte Photokatalysatoren und reagiert auf den Einfall von Sonnenlicht. Schadstoffe werden so in weniger schädliche Elemente aufgespalten, bevor sie sich an der Gebäudeoberfläche ansammeln.
Die Möglichkeit, Schadstoffe zu eliminieren, darf allerdings kein Grund sein, weitere Schadstoffe in die Umwelt zu entlassen. D.h. es ist sorgfältig zu prüfen, ob die im Beispiel genannten Photokatalysatoren möglicherweise auch gefährliche Eigenschaften besitzen und in welchem Maß sie im Lebensweg der Fassaden in die Umwelt freigesetzt werden.
Solche Möglichkeiten zur Befreiung von Schadstoffen mithilfe von Alltagsprodukten könnten umfangreicher genutzt werden. Gerade im Innenraumbereich ist die Schadstoffbelastung ein vielfach ungelöstes Problem.
Der saubere Tod
Bislang wurden bei der Rattenbekämpfung hochgiftige Köder oft ungeschützt in den Kanal eingehängt. Selbst in Kläranlagen werden diese Giftstoffe nur zu einem geringen Teil abgebaut. Mit den ToxProtect-Köderschutzboxen kommen die Köder auch bei Hochwasser nicht mehr in Kontakt mit Wasser. So werden bis zu 98 % an Giftködern oder mehrere 100 Tonnen in Deutschland eingespart und die gefährlichen Stoffe lagern sich nicht mehr in der Umwelt ab. Ein cloudbasierter Webservice ermöglicht die effiziente Beobachtung der Rattenaktivitäten und macht tausende Kontrollbesuche per PKW obsolet. Die Boxen werden lokal produziert und können wiederverwendet werden.
Die Köderschutzbox ToxProtect 1402 der ball–b GmbH & Co KG wurde 2022 für den Bundespreis Ecodesign nominiert.
Natürlicher Softshell
Konventioneller Softshell ist aufgrund des Einsatzes von PFC und künstlichen Fasern schädlich für die Umwelt. hessnatur hat eine natürliche Alternative entwickelt, die ganz ohne problematische Inhaltsstoffe auskommt. Das Material ist aus reiner Bio-Baumwolle gefertigt und wird mit einer ökologischen, veganen Rezeptur imprägniert. Tragekomfort, Design sowie Alltagstauglichkeit werden dabei gleichwertig berücksichtigt. Outdoor-Liebhaber*innen können so die Natur genießen, ohne ihr zu schaden.
Das Angebot von Hess Natur-Textilien GmbH & Co. KG war 2021 Preisträger in der Kategorie Produkt des Bundespreis Ecodesign.
Kritische Rohstoffe in Smartphones
Rohstoffe, die unter besonders problematischen Bedingungen gewonnen werden, können auch als Probolemstoffe betrachtet werden. Es gibt eine Reihe sogenannter Konfliktrohstoffe, die sich meist in elektronischen Geräten finden, unter anderem in solchen, die unsere Gesellschaft gerne und häufig austauscht. Die Gründer von FairPhone haben versucht, sowohl die kritischen Bestandteile eines Smartphones möglichst frei von Problemstoffen herzustellen als auch ein Problembewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen.
Das Ziel von FairPhone ist es, ein langlebiges Smartphone unter möglichst guten sozialen und ökologischen Bedingungen der Rohstoffgewinnung und Fertigung herzustellen. Es soll, soweit möglich, mit konfliktfreien Rohstoffen produziert werden, welche die Bedürfnisse der Arbeiter durch Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie faire Löhne an erste Stelle stellen und aus deren Gewinnen keine illegalen Armeen finanziert werden.
Es war klar, dass dies zu Beginn des Projektes schwierig werden wird. Im Verlauf des Projektes hat sich gezeigt, dass es auch nach einiger Zeit noch kaum machbar ist. Ziel des Projektes war es jedoch vor allem, auf Missstände in der Lieferkette hinzuweisen, Transparenz einzufordern und so langfristig für Veränderungen in der Branche und der Gesellschaft zu sorgen. Das ist gelungen.
In vielen elektronischen Geräten auch großer Konzerne finden sich in der Zwischenzeit konfliktfreie Rohstoffe. Die Konzerne haben sich aus Minen in Krisengebieten zurückgezogen. FairPhone tut nun zum Teil das genaue Gegenteil und bezieht in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen Rohstoffe aus genau den Minen, die nun von Konzernen gemieden werden. Weshalb kann das ebenso sinnvoll sein? Arbeiter aus nun geschlossenen Minen haben wenig andere Alternativen als sich örtlichen Milizen anzuschließen, um ihre Familien zu ernähren. So werden Konflikte weiter befeuert und Einzelschicksale besiegelt. Dem tritt FairPhone mit seiner Initiative entgegen.
FairPhone hat es bisher nicht geschafft, ein wirklich vollständig „faires“ Mobiltelefon auf den Markt zu bringen. Sie haben es geschafft, eine ganze Branche dazu zu bringen, ihre Strukturen zu hinterfragen, sie zu verändern und der Forderung nach Transparenz nachzukommen. Auch in der Gesellschaft findet aufgrund des Projektes ein Umdenken statt.
Was zeigt dieses Beispiel? Allein der Versuch, ein Produkt problemstofffrei zu designen und zu produzieren kann selbst für kleine Unternehmen höchst erfolgreich sein, auch wenn es nicht auf Anhieb gelingt. Bei FairPhone war die Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Finanzierung und in die gesamte Story ein maßgeblicher Treiber. Die Geschichte „David gegen Goliath“ wurde gespannt verfolgt. Es wurde gefragt: wenn ein kleines Projekt so etwas schaffen kann, was können dann erst die Konzerne bewegen?
In diesem Beispiel ist daher nicht die Problemstofffreiheit eines Produktes an sich der entscheidende Faktor, sondern die Aufmerksamkeit auf ein Produkt mit einem Problemstoff zu lenken und dadurch ein System in Frage zu stellen.