Worum geht es?
Für die Ermittlung von potentiellen Umweltauswirkungen von Produkten und Materialien kann unter anderem die Ökobilanz herangezogen werden. Dabei handelt es sich um ein Analyseinstrument, das die potentiellen Umweltauswirkungen von Produkten oder Materialien über deren gesamten Lebensweg – „von der Wiege bis zur Bahre“ – ermittelt und abbildet. Dies beinhaltet Rohstoffgewinnung, Herstellung, Transporte, Nutzung und letztlich auch die Entsorgung.
Eine sorgfältig durchgeführte Ökobilanz stellt eines der präzisesten Analyseinstrumente für die Ermittlung von potentiellen Umweltauswirkungen von Produkten und Materialien dar. Die Ergebnisse der Analyse werden in Wirkungskategorien dargestellt. Bei diesen Wirkungskategorien handelt es sich auf den ersten Blick um scheinbar leicht nachvollziehbare Kategorien wie
- Klimawandel (Global Warming Potential – GWP),
- Ozonbildungspotenzial (Ozone Depletion Potential – ODP),
- Versauerungspotenzial (Acidification Potential – AP),
- Überdüngungspotenzial (Eutrophication Potential – EP),
- Ozonbildungspotenzial (Photochemical Ozone Creation Potential – POCP),
- oder „Flächenverbrauch“.
Die klaren und präzisen Ergebnisse erwecken dabei den Eindruck, eine exakte ökologische Wirklichkeit abzubilden. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass potentielle Umweltauswirkungen von Produktsystemen sich einfach mit entsprechender Software und verfügbaren Datenbanken ermitteln lassen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Dieser Artikel erklärt daher die Besonderheiten der Ökobilanz, um ein besseres Verständnis für die Methode und deren Ergebnisse zu geben. Welche Systematik liegt einer Ökobilanzierung zugrunde? Was sagen die Wirkungskategorien aus? Was gilt es bei der Datenauswertung und Ergebnisinterpretation zu beachten?
Die Ökobilanz: Was ist sie? Wozu dient sie? Wie läuft sie ab?
Die Ökobilanz, im Deutschen auch Lebenszyklusanalyse genannt nach dem englischen Begriff Life Cycle Assessment (LCA), ist eine Bilanz über die mit einem Produkt verbundenen Umweltaspekte und potentiellen Umweltauswirkungen, die sich auf dessen kompletten Lebenszyklus (Lebensweg) beziehen. Für die Analyse der potentiellen Umweltauswirkungen müssen Daten aller Materialien, Inhaltsstoffe und Verarbeitungsprozesse über deren gesamten Lebensweg ermittelt werden. Daten zu:
- Rohstoffabbau und Transporten,
- Herstellungs- und Verarbeitungsprozessen inkl. Hilfs- und Betriebsstoffen,
- Nutzungsphase
- sowie der Entsorgungswege des Produktes bzw. Materials, aber auch aller bei der Herstellung anfallenden Abfälle.
Die Regeln dieser Bilanzierung sind in den DIN EN ISO 14040 und 14044 festgelegt.
Anwendungsgebiete und Ziele der Ökobilanz
Die Ergebnisse von Ökobilanzen können für verschiedene Zwecke eingesetzt werden:
- dem Vergleich verschiedener Produktsysteme zu Forschungszwecken und für werbliche Ziele von Unternehmen;
- der Darstellung der Umweltleistung eines Produktes und Vergleich mit anderen Produkten derselben Produktgruppe für Zertifikatssysteme;
- dem Vergleich von Produkt- bzw. Materialoptionen oder Herstellungsverfahren auf ihre Umweltrelevanz für (Produkt)Designer:innen;
- einer Hotspot-Analyse, um innerhalb eines Produktionsverfahrens besonders umweltrelevante Rohstoffe, Zulieferprodukte oder Verfahren zu ermitteln.
In diesem Rahmen können Ergebnisse von Ökobilanzen als Grundlage für strategische Entscheidungen während des Designprozesses von Produkten dienen. Allerdings handelt es sich bei der Ökobilanz um ein aufwändiges Verfahren. Alternativ kann für eine erste Abschätzung eine Screening LCA (siehe weiter unten) durchgeführt oder der Ecolizer (siehe Werkzeugsammlung) eingesetzt werden. Dabei sind jedoch erhebliche Abstriche bei der Genauigkeit der Ergebnisse in Kauf zu nehmen.
Der Aufbau einer Ökobilanz
Wie eine Ökobilanz aufgebaut ist und teilweise auch das Vorgehen, wie sie erstellt wird, ist in den Normen ISO EN 14040/14044 definiert. Danach besteht die Bilanzierung aus vier Phasen:
- Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens,
- Erstellen der Sachbilanz,
- Wirkungsabschätzung und
- Interpretation.
Die Zieldefinition enthält die genaue Beschreibung
- des Untersuchungsgegenstandes inklusive der untersuchten Einheit – die sogenannte funktionelle Einheit,
- der Methodenbeschreibung der Modellierung und Wirkungsabschätzung
- sowie Ziel und Zweck der Bilanz.
In der Sachbilanz (Inventar) werden die Input- und Outputströme im betrachteten System erfasst und bilanziert. Die Wirkungsabschätzung basiert dabei auf der Sachbilanz. In der letzten Phase der Interpretation werden die Ergebnisse erläutert und in Bezug zum Ziel und Zweck der Ökobilanz interpretiert.
Zwischenergebnisse führen immer wieder dazu, dass die ursprünglichen Daten ergänzt und verändert werden müssen. Die Erstellung einer Ökobilanz ist daher ein iterativer Prozess, der in der Regel mehrere Schleifen durchläuft, bis zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden. Um die Glaubwürdigkeit der Studie zu erhöhen, wird eine kritische Prüfung (Englisch: critical review) empfohlen. Bei diesem Verfahren wird die Ökobilanz durch externe Expert:innen und / oder andere interessierte Kreise begutachtet. Insbesondere bei der Veröffentlichung von vergleichenden Aussagen ist dieses Vorgehen wichtig.
Für (Produkt)Designer:innen ist vor allem wichtig, Ergebnisse von Ökobilanzen einschätzen zu lernen und diese zu interpretieren. Nur so können z.B. Instrumente wie der Ecolizer oder Ergebnisse aus CAD-integrierten Datenbanken zielführend eingesetzt werden. Dazu gehört auch das Verständnis über all die Parameter im Lebenszyklus des Produktes, die für ausgeprägte Umweltauswirkungen verantwortlich sind. Weniger wichtig ist hingegen die detaillierte Aufbereitung des Vorgehens bei der Erstellung der Sachbilanz. Entsprechend wird der Fokus in diesem Artikel gelegt.
Ziel und Untersuchungsrahmen einer Ökobilanz
Eine Ökobilanz wird immer entsprechend ihres Ziels bzw. der Fragestellung modelliert. Daher sind Ökobilanzen häufig recht umfangreiche Dokumente, in denen zunächst das gesamte Untersuchungsdesign festgelegt und auf die Fragestellung abgestimmt werden muss. In diesem Rahmen kann nicht jeder Aspekt der Ökobilanz in aller Tiefe bearbeitet werden. Eine kurze Darstellung der Parameter soll jedoch zum tieferen Verständnis der Ökobilanzierung beitragen. Nach der Lektüre sollte verstanden worden sein, weshalb bei der Ökobilanz, wie auch bei einer überschlägigen Ökobilanz oder beim Einsatz des Ecolizers höchste Vorsicht bei der Verwendung der Ergebnisse geboten ist. Gleichzeitig soll eine gewisse Sicherheit bei der Anwendung solch „überschlägiger“ Methoden gewonnen werden.
Das Ziel der Betrachtung und des Untersuchungsrahmens muss daher sorgfältig formuliert werden, denn es bildet die Grundlage jeden weiteren Vorgehens. Dazu muss z. B. der geographische Rahmen berücksichtigt werden. Außerdem muss die Systemgrenze festgelegt werden, also der Rahmen, innerhalb dessen ein System betrachtet wird bzw. nicht mehr betrachtet wird.
Funktionelle Einheit
Reicht es jeweils 1 kg der zu untersuchenden Materialien zu vergleichen? Meist nein, denn bei der Herstellung können unterschiedliche Einsatzmengen der Materialien verwendet werden. Bei Vergleichen von z. B. Materialien oder Herstellungsverfahren muss sichergestellt sein, dass eine gemeinsame funktionelle Einheit (FE) gewählt wird, die jeweils dieselbe Funktion erfüllt.
Annahmen
Häufig sind bestimmte Daten nicht zu ermitteln. Möglicherweise ist die Zusammensetzung aus Primär- und Sekundärmaterial bei Metallen nicht bekannt (siehe auch Kapitel zu Metallen). Oder Transportwege von Rohstoffen sind nicht zu ermitteln. Dann müssen Annahmen getroffen werden, die jedoch ein bestimmtes Produkt oder Material nicht bevorzugen und nicht benachteiligen dürfen.
Allokation
Als Allokation wird die Zuteilung der Umweltlasten über den Lebensweg bezeichnet, wenn diese auf mehrere Systeme aufgeteilt werden müssen. Dies ist u. a. der Fall, wenn bei dem Herstellungsprozess eines Hauptproduktes Nebenprodukte, sogenannte Koppelprodukte, entstehen.
Auch bei anschließendem Recycling oder der Wiederverwendung von Produkten müssen die Umweltlasten der Erstherstellung gerecht auf die nachfolgenden Produktsysteme verteilt werden. Ökobilanzierer:innen müssen entscheiden, welche Art der Allokation für das definierte Ziel der Ökobilanzstudie die angemessene ist, z. B.
- nach Masse,
- nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten (Stöchiometrie)
- oder nach ökonomischen Gesichtspunkten.
Welche die jeweils „richtige“ Allokation ist, kommt auf das definierte Ziel der Studie an. Verschiedene Ökobilanzen zum selben Produkt können sich im Ergebnis unterscheiden, einfach weil sich die Bilanzierer:innen aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Studie für eine jeweils andere Art der Allokation oder eine andere prozentuale Verteilung entschieden haben.
Die Sachbilanz
Aufgrund des festgelegten Untersuchungsrahmens werden für die Sachbilanz alle Input- und Outputströme innerhalb der definierten Systemgrenze erfasst. Dabei werden Masse- und Energiebilanzen erstellt für die verwendeten
- die verwendeten Rohstoffe
- die verwendeten Hilfsstoffe
- die verwendeten Betriebsstoffe
- Prozessen der Rohstoffgewinnung
- Herstellungsprozesse
- Verarbeitungsprozesse
- Transportprozesse
In der Praxis sind viele dieser Daten nicht bekannt, daher wird eine größtmögliche Annäherung versucht. Ökobilanzsoftware wie z. B. Umberto®, SimaPro®, GaBi® aber auch Open-Source-Software erleichtern diesen Bearbeitungsschritt enorm, da ein Produktsystem mit hinterlegten Material- und Prozessmodulen modelliert werden kann. Optimalerweise sind mit der Modellierung der Energie- und Masseströme alle Entnahmen aus der Umwelt und Emissionen und Abfälle in die Umwelt möglichst detailgenau erfasst und in der Sachbilanz nach Sachbilanzparametern aufsummierbar. Die Sachbilanzparameter sind so detailliert wie möglich zu erfassen, um sie dann für die Wirkungsabschätzung klassifizieren zu können. Genauere Informationen zu den für diesen Schritt verwendeten Datenbanken finden sich hier.
Die Wirkungsabschätzung
Bei der Wirkungsabschätzung geht es darum, Informationen aus der Sachbilanz für die Kommunikation oder Entscheidungsstützung auf wenige Parameter zu verdichten. Dabei unterscheidet sich vor allem die Sichtweise über den Ansatz der Bewertungsmethoden:
- schadensorientiert
- wirkungsorientiert
Es gibt verschiedene Methoden der Wirkungsabschätzung. Einige der bekannteren sind:
- CML-Methode – vom Centrum voor Milieukunde (CML) der Universität Leiden entwickelt (wirkungsorientiert),
- EcoIndicator 99 - eine von Pré Consultants entwickelte Methode (schadensorientiert),
- ReCiPe 2009 – vom Nationalen Institut für Öffentliche Gesundheit und Umwelt der Niederland (RIVM), CML (Universität Leiden), PRé Consultants and der Radboud University Nijmegen entwickelte Methode (schadensorientiert),
- Methode der ökologischen Knappheit - eine vom Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlichte und von weiteren Institutionen weiter entwickelte Methode
- Life Cycle Impact Assessment Guide der Europäischen Plattform für Ökobilanzierung
In den Normen zur Ökobilanz ISO 14040 und ISO 14044 wird eine Wirkungsabschätzung gefordert, die weitgehend der Struktur der CML-Methode entspricht. Das heißt, dass Umweltauswirkungen zusammengefasst und in verschiedenen Wirkungskategorien dargestellt werden. Allerdings werden in den ISO-Normen nicht explizit bestimmte Wirkungskategorien empfohlen. Hervorzuheben ist, dass auf potenzielle Umweltauswirkungen abgestellt wird und nicht auf eine tatsächliche Risikoanalyse.
Bei der Zuordnung von Substanzen zu Wirkungskategorien muss berücksichtigt werden, dass manche Stoffe verschiedene Umweltauswirkungen haben können. Beispielsweise trägt Stickstoff in Form von Stickoxiden (NOx) sowohl zur Versauerung als auch zur Überdüngung bei.
Die Wirkungsindikatorwerte werden heute meistens über Software aus Sachbilanzdaten automatisch berechnet, wodurch die Wirkungsabschätzung sehr leicht durchführbar wird. Allerdings sind dadurch die tatsächlichen Hintergründe und Zusammenhänge der Umweltwirkmechanismen oft nicht mehr präsent, was eine Interpretation der Ergebnisse erschwert oder zu falschen Schlussfolgerungen verleitet.
Wirkungskategorien (nach der CML-Methode)
Wichtig ist, dass mittels der Wirkungskategorien Potenziale für Umweltauswirkungen ermittelt werden und nicht tatsächliche Umweltauswirkungen.
Beispiele für potenzielle Wirkungen von Versauerung in der Umwelt sind:
- saurer Regen
- Boden- und Gewässerversauerung.
Dies kann zu folgenden Beeinträchtigungen führen:
- Vegetationsschädigungen
- Hautschäden
- Fischsterben
- Remobilisierung von Schwermetallen
Es werden drei unterschiedliche Arten von Wirkungskategorien unterschieden:
- input-bezogene,
- output-bezogene sowie
- toxizitätsbezogene.
Input-bezogene Wirkungskategorien umfassen
- den Abiotischer-Ressourcen-Verbrauch (ADP) - spezifische Kategorien hierzu sind der fossile Ressourcenverbrauch und die Nutzung von (Süß)Wasser;
- den Biotischer Ressourcenverbrauch;
- die Naturraumbeanspruchung;
- den Kumulierter Energieverbrauch KEA. Dies ist allerdings keine echte Wirkungskategorie, sondern eine Kennzahl.
Output-bezogene Wirkungskategorien umfassen das
- Treibhauspotenzial, GWP (Global Warming Potential), Leitindikator CO₂-Äquivalent;
- Ozonabbaupotenzial in der Stratosphäre, ODP (Ozone Depletion Potential), Leitindikator R11-Äquivalent;
- bodennahe Ozonbildungspotenzial, POCP (Photochemical Ozone Creation Potential), Leitindikator C₂H₄-Äquivalent;
- Versauerungspotenzial, AP (Acidification Potential), Leitindikator SO₂-Äquivalent;
- Eutrophierungspotenzial, EP (Eutrification Potential), Leitindikator PO₄³⁻-Äquivalent.
Toxizitätsbezogene Wirkungskategorien umfassen die
- Humantoxizität und
- Ökotoxizität.
1. Input-bezogene Wirkungskategorien
Diese Wirkungskategorien zielen auf die Erhaltung bzw. den sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen ab.
Das Problem bei der Ressourcennutzung ist nicht nur oder nicht immer der irreversible Verbrauch der Ressourcen, sondern auch die Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt bei der Förderung bzw. dem Abbau der Ressourcen. Das ist nicht immer leicht auseinanderzuhalten und führt zu erhöhter Komplexität. Daher werden die Ressourcen wie folgt unterteilt:
- Endliche abiotische Ressourcen – zum Beispiel Mineralien und fossile Rohstoffe
- Regenerierbare abiotische Ressourcen – zum Beispiel Grundwasser, Oberflächenwasser und Sauerstoff
- Endliche biotische Ressourcen – zum Beispiel Tropenholz aus Primärwäldern und vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten
- Regenerierbare biotische Ressourcen – zum Beispiel Wildpflanzen und-tiere, NICHT jedoch Agrar-, Zucht- oder Farmprodukte
1.1 Abiotischer Ressourcenverbrauch (ADP)
Von Uranerz bis Luft - es ist nicht leicht, einen Wirkungsindikator für diesen Bereich zu finden. Eine einfache Aufsummierung aus der Sachbilanz, dem Verbrauch der Ressourcen pro funktioneller Einheit, würde ein völlig falsches Bild liefern. Warum? Weil für erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen völlig unterschiedliche Voraussetzungen angenommen werden müssen. Außerdem muss berücksichtigt werden, ob die Ressourcen verbraucht, „nur“ verschmutzt oder erhitzt werden.
Die Herangehensweise ist, nach der gemeinsamen Wirkung zu forschen, für die dann ein möglichst einfaches und quantitatives Modell gefunden werden muss. Als gemeinsame Wirkung kann hier die Verknappung angenommen werden. Sowohl Entnahme als auch Verschmutzung führen zu einer Verknappung. Das gilt auch bei erneuerbaren Ressourcen, wenn der Verbrauch über der Erneuerungsrate liegt. Die Umrechnung erfolgt auf den Wirkungsindikatorwert Antimon (Sb), welches als seltenes Element ausgewählt wurde, Knappheit zu repräsentieren.
Fossiler Ressourcenverbrauch
Der fossile Ressourcenverbrauch ist Teil des abiotischen Ressourcenverbrauchs, wird jedoch als relevante Wirkungskategorie auch einzeln erfasst. Die verschiedenen fossilen Rohstoffe wie Steinkohle, Braunkohle, Erdöl und Erdgas werden entsprechend ihrer statischen Reichweite gewichtet mit dem Energiegehalt erfasst. Der Energiegehalt wird jeweils auf den Energiegehalt von Rohöl bezogen, und es wird ein Rohöläquivalenzfaktor berechnet. Die Einheit des Wirkungsindikators ist also „Rohöläquivalente“.
Entnahme und Nutzung von (Süß-)Wasser
(Süß-)Wasser ist eine abiotische Ressource. Wasser kann je nach lokalen / regionalen Umständen zu jeder der drei Kategorien gehören:
- fossiles Wasser (Tiefenwasser)
- Grundwasser
- Oberflächenwasser
Grund- und Oberflächenwasser sind regenerierbar. Das fossile Wasser regeneriert sich, in menschlichen Zeiträumen betrachtet, nicht.
(Süß)Wasser ist regional äußerst unterschiedlich verteilt, daher ist eine lokale Bezugsbasis sinnvoll. Das bedeutet, dass nicht nur der Verbrauch von Wasser als Menge aufsummiert werden sollte, sondern auch die Region des Verbrauchs berücksichtigt werden muss (siehe Kapitel Entnahme und Nutzung von Wasser und Eindimensionale Methoden und dort unter Water Footprint). Die schlichte Aufsummierung des Wasserverbrauchs im Produktlebenszyklus, ohne Kenntnis der geographischen Herkunft und ohne einen Indikator zur Würdigung der Umweltauswirkungen der Wasserentnahme, ist wenig aussagekräftig.
Datenbankergebnisse können sich hier scheinbar widersprechen. Das liegt unter anderem daran, dass es noch keine einheitliche Definition von „Verbrauch“ gibt. Zunächst meint „Verbrauch“ eine Verschmutzung/Erhitzung des Wassers durch Nutzung, die das Wasser ggf. für eine weitere Verwendung z.B. als Trinkwasser unbrauchbar macht. Aber auch Verdunstung sowie Entnahme (ohne Verschmutzung) kann als Verbrauch gerechnet werden.
1.2 Biotischer Ressourcenverbrauch
Unter biotischen Ressourcen versteht man solche lebenden Naturschätze, die ohne direktes Zutun der Menschen wachsen, sich vermehren und ihre Rolle in den natürlichen Ökosystemen spielen. Dazu gehören: Fische der Meere, Urwälder und ihre Pflanzen und Tiere, etc. Nicht dazu gehören: Fischzucht, Plantagen, Nutztierhaltung, etc.
Für diesen Bereich ist es noch schwerer einen Wirkungsindikator zu finden als beim abiotischen Ressourcenverbrauch. Es wird analog zu den Wirkungsindikatoren des abiotischen Ressourcenverbrauchs gearbeitet. Der biotische Ressourcenverbrauch wird nur selten und meist in ganz konkreten Fällen als Wirkungskategorie in der Ökobilanz verwendet, da die Quantifizierung sehr schwierig ist.
1.3 Naturraumbeanspruchung
Fläche ist eine endliche Ressource und darf nicht nur als frei zur Verfügung stehende Menge betrachtet werden. Die Fläche steht in direktem Bezug zu ihrem ökologisch bewertbaren Zustand. Daher sind bei der Bewertung einer Fläche unter ökologischen Gesichtspunkten alle flächenbezogenen Umweltbelastungen zu verstehen. Dazu gehören beispielsweise:
- Verringerung der Biodiversität,
- Landerosion,
- Beeinträchtigung der Landschaft
Standardmäßig wird die Naturraumbeanspruchung lediglich in m² / Jahr ausgedrückt. Für eine Bewertung der Beeinträchtigung muss aber der ursprüngliche Zustand der Fläche bzw. ein Referenzzustand bekannt sein und die Nutzungsdauer berücksichtigt werden.
Es dürfte auf den ersten Blick klar sein, dass eine reine Aufsummierung der m² / Jahr nur beim Vergleich nahezu gleicher Produktsysteme zielführend ist, z. B. Agrarprodukte untereinander und auch da nur einen ersten Überblick geben kann. Beim Vergleich unterschiedlicher Produktsysteme, z. B. Metalle mit Holz, führt dieser Vergleich nicht weiter.
Sofern Naturraumbeanspruchung eine wesentliche Wirkungskategorie für ein Produktsystem ist, muss der Bilanzierung erhöhte Sorgfalt und Detailgenauigkeit gewidmet werden und mit konkreten Daten untermauert werden. Allein die Quadratmeterangabe ist nicht aussagekräftig.
1.4 Kumulierter Energieverbrauch (KEA)
Der Energieverbrauch entspricht nach den ISO-Normen keiner Wirkungskategorie, weshalb er nach der Norm streng genommen kein Indikator sein kann. Er ist jedoch eine nützliche und mit relativ geringer Unsicherheit zu ermittelnde Kennzahl, die den gesamten Energieaufwand erfasst.
Der KEA ergänzt in idealer Weise die in den Wirkungskategorien „Ressourcenverbrauch“ und „Klimaänderung“ enthaltenen Informationen zu den fossilen und nuklearen Energieträgern und dient vor allem der Unterstützung und Bewertung von Energiesparmaßnahmen.
2. Output-bezogene Wirkungskategorien
Die output-bezogenen Wirkungskategorien beziehen sich auf die Umweltauswirkungen von Emissionen.
2.1 Treibhauspotenzial (GWP)
Diese Wirkungskategorie hat unterschiedliche Bezeichnungen wie „Treibhauspotenzial“, „Treibhauseffekt“, „Klimawandel“ o. ä. Der Begriff „Potenzial“ taucht hier in der Bezeichnung der Kategorie nicht immer auf, alle Bezeichnungen meinen jedoch dasselbe. Diese Wirkungskategorie steht für die negativen Umweltauswirkungen der anthropogen bedingten Erwärmung der Erdatmosphäre.
Es gibt verschiedene Gase, die zum Treibhauseffekt beitragen. Das wohl bekannteste ist Kohlendioxid (CO₂). Aber auch Methan (CH₄) oder Distickstoffmonoxid (Lachgas, N₂O) gehören dazu. Die Effekte der Gase in der Atmosphäre bezüglich des jeweiligen Treibhauspotenzials (Global Warming Potentials) werden in der Wirkungskategorie zusammengefasst und auf Kohlendioxid umgerechnet in CO₂-Äquivalenten ausgedrückt.
Die Umweltauswirkung der Gase in der Atmosphäre hängt jedoch von bestimmten Bedingungen ab wie der Verweilzeit der Gase in der Troposphäre. Da die Verweilzeit bei der Berechnung von CO₂-Äquivalenten berücksichtigt wird, stellt sich die Frage, welcher Zeitraum der Klimamodellrechnung für den Zweck einer Produktökobilanz verwendet werden soll. Es existieren Modellrechnungen für 20, 100 und 500 Jahre.
Die Modellrechnungen über 20 Jahre beruhen auf der sichersten Prognosebasis. Üblicherweise, auch UBA-konform, wird jedoch auf einer 100-Jahresbasis modelliert, da diese am ehesten die langfristigen Auswirkungen unseres Handelns widerspiegelt.
Der angewandte Wirkungsindikator ist das Strahlungspotenzial, also die Verstärkung des Strahlungsantriebs durch die absorbierte Infrarotstrahlung (Radiative Forcing). Details zur Thematik Klimawandel werden ausführlicher im Kapitel Klimawandel ausgeführt.
2.2 Ozonabbaupotenzial in der Stratosphäre (ODP)
Das Ozon (O₃) der Erdatmosphäre schützt Lebewesen auf der Erde vor schädlichen UV-Strahlen, indem es UV-B- und UV-C-Strahlung absorbiert. Der Abbau der stratosphärischen Ozonschicht wird u. a. durch Halogene unter speziellen klimatischen Bedingungen verursacht. Halogene sind z. B. FCKW, Fluorchlorkohlenwasserstoffe, aber auch bromierte Stoffe oder Chlorkohlenwasserstoffe. Unter Berücksichtigung der stratosphärischen Verweilzeit der Gase und vorausgesagter Immissionskonzentrationen wurden so genannte Ozonabbauptenziale (Ozone Depletion Potentials, ODP) bestimmt.
Die ODP beziehen sich auf die Vergleichssubstanz R 11 (wer es genau wissen mag: Trichlorfluormethan – ein FCKW). Auch hier können die Charakterisierungsfaktoren für verschiedene Zeithorizonte bestimmt werden.
2.3 Bodennahes Ozonbildungspotenzial (POCP)
Die Bildung von bodennahem Ozon ist ein Prozess, der nicht nur bestimmte Schadgase, sondern auch eine geeignete Wetterlage benötigt. Neben
- reaktiven Stickstoffoxiden NOx ( = Stickstoffmonoxid, NO, und Stickstoffidoxid, NO2) und
- reaktiven flüchtigen Kohlenwasserstoffen (VOC) und / oder Kohlenstoffmonoxid, CO,
ist außerdem eine
- intensive Sonneneinstrahlung mit hohem UV-Anteil (normaler Sommersonnenschein reicht)
notwendig, weswegen Ozonbelastung in der Regel im Sommer auftritt („Sommersmog“).
Zur Verminderung des Sommersmogpotenzials ist die Reduktion der flüchtigen Kohlenwasserstoffe, des Kohlenmonoxids und gleichzeitig der Stickstoffoxid-Emissionen unerlässlich. Der Wirkungsindikator ist die Sommersmogbildung, meist gemessen an der Bildung der Leitsubstanz Ozon. So wie beim Klimawandel die Substanzen auf CO2-Äquivalente umgerechnet werden, gilt beim Ozonbildungspotenzial POCP (Photochemical Ozone Creation Potential) das Ethen als Leitsubstanz, dem der Wert 1 zugeordnet wird.
Sofern Ozonbildung für die umweltliche Bewertung eines Materials oder Produktes eine wesentliche Wirkungskategorie ist, können Regionalisierungsmodelle angewendet werden, die nicht nur allgemein das Ozonbildungspotenzial errechnen, sondern die konkreten lokalen Umstände berücksichtigen. Voraussetzung sind Detailkenntnisse bei der Modellierung bezüglich der Emissionsquellen. Hierzu sind auch andere Quellen, die zusätzlich zur produzierenden Anlage in der näheren Umgebung emittieren, einzubeziehen bzw. die klimatischen Verhältnisse.
2.4 Versauerungspotenzial (AP)
Sowohl terrestrische als auch aquatische Systeme können von einer Versauerung betroffen sein. Verantwortlich sind die Emissionen säurebildender Substanzen. Die säurebildenden Substanzen stammen aus Emissionen in der Luft (Industrieanlagen) und aus der Landwirtschaft.
Die Auswirkungen der Versauerung sind in ihrem vollen Ausmaß noch nicht bekannt. Jedoch gehören dazu
- Schäden an der Vegetation, z. B. Waldschäden
- Auswaschung von Nährstoffen
- Remobilisierung von Schwermetallen
Als einfachste Charakterisierung der Schadwirkung ist das Versauerungspotenzial der Schadstoffe geeignet, die auf Schwefeldioxid (SO₂)- Äquivalente umgerechnet werden.
Die Thematik der Versauerung ist umfangreich und der Einsatz als Wirkungskategorie ist komplex. Detaillierte Hintergründe zum Thema Versauerung werden daher im Artikel Versauerung von Ökosystemen dargestellt.
2.5 Eutrophierungspotenzial (EP)
Eutrophierung ist ein Überangebot an Nährstoffen in Böden und Gewässern. Da es sich bei den verursachenden Stoffen nicht um Schadstoffe handelt, sondern um Nährstoffe, ist die Berechnung dieser Wirkungskategorie mit nicht so einfach, ebenso wie die Interpretation der Ergebnisse.
Die Eutrophierung hat häufig die landwirtschaftliche Düngung als Ursache, was insbesondere bei der Intensivlandwirtschaft ein Problem darstellt. Aber auch durch die Luft aus Industrieemissionen, können diese Emissionen verteilt und abgelagert werden.
Zu den Wirkungen der Überdüngung gehört zunächst die Erhöhung der Sauerstoffzehrung in Gewässern (aerobe Abbauprozesse). Über die Entwicklung von anaeroben (sauerstofffreien) Tiefenschichten im Gewässer kann dies zum Absterben / Umkippen des Gewässers führen.
Das Eutrophierungspotenzial wird in Phosphat-Äquivalenten angegeben. Die Benennung von Umweltschäden durch den Eintrag eutrophierender Substanzen in die Umwelt ist mit Schwierigkeiten behaftet. Die Einbeziehung des Eutrophierungspotenzials als Wirkungskategorie ist oft sinnvoll, muss jedoch mit Bedacht verwendet werden. Detaillierte Hintergründe finden sich im Artikel zur Überdüngung von Ökosystemen.
3. Toxizitätsbezogene Wirkungskategorien
Toxizitätsbezogene Wirkungskategorien werden in der ökobilanziellen Praxis nur sehr gezielt und für bestimmte Abschätzungen eingesetzt. Dies ist zum Beispiel der Fall für Produkte und Materialien, die in besonderem Maße durch Schadstoffeinsatz gekennzeichnet sind. Dies liegt daran, dass hierbei keine einfache Aufrechnung von Schadstoffen möglich ist bzw. kein Bezug auf einen gemeinsamen Wirkungsindikator. Die Toxizitätswirkungen von Schadstoffen sind unterschiedlich und abhängig von Parametern wie
- Konzentration,
- Art der Verteilung,
- Verfügbarkeit für den Organismus,
- chemischen Reaktionen,
- Persistenz in der Umwelt,
- akutem oder genetischem Schadpotenzial u. a.
Daher ist ein Vergleich der Schädlichkeit nur über die emittierten Mengen nicht möglich. Darüber hinaus besteht keine Einigkeit in der Ökobilanzforschung sowie der Ökobilanzpraxis, wie methodisch mit diesen Kategorien umgegangen werden kann. Die Ermittlung von Toxizitätspotenzialen ist methodisch sehr schwierig. Einer der schwierigsten Punkte sind die Kombinationswirkungen von Schadstoffen, die rein bilanziell so nicht abgebildet werden können.
Schließlich sind
- Expositionsdauer,
- Konzentration und
- Kontaktart
für eine Auswirkung relevant, können aber in der Sachbilanz gar nicht bekannt sein.
Sofern diese Wirkungskategorien für bestimmte Materialien und Produkte von Bedeutung sind, wird die Bilanzierung sehr individuell vorgenommen und die Interpretation der Ergebnisse erfolgt sehr sorgfältig und auf den konkreten Fall abgestimmt. Dabei wird häufig zwischen Kategorien Humantoxizität und Ökotoxizität unterschieden. (Siehe auch Kapitel Schadstofffreisetzung)
Die Interpretation der Ergebnisse
Die Ergebnisse von Ökobilanzen alleine sagen noch wenig aus, Sie müssen immer im Gesamtzusammenhang betrachtet und in Bezug auf die gesetzten Systemgrenzen interpretiert werden.
- Haben bestimmte Ergebnisse nur im Zusammenhang mit bestimmten getroffenen Annahmen Bestand?
- Ist das Produkt mit der positiveren Klimawirkung oder dem besseren Eutrophierungspotenzial im konkreten Kontext umweltfreundlicher?
- Müssen andere Materialien verwendet werden oder kann eine langlebigere Gestaltung positiv beitragen?
- Ist die Datenqualität für eine verbindliche Aussage gut genug und sind die Ergebnisse signifikant?
Die Auswirkung von Datenqualität auf die Ergebnisse lassen sich am leichtesten anhand eines selbst gerechneten Beispiels nachvollziehen – siehe die Detailbeispiele.
Die Interpretation kann nicht durch die Anwendung bestimmter Bilanzierungsinstrumente ersetzt werden – sie obliegt dem Bilanzierer.
Die Aussagekraft von Ökobilanzen
Die Ökobilanz wird erstellt, um die Umweltauswirkung eines Produktes über dessen Lebensweg hinweg zu modellieren. Aufgrund der Komplexität eines solchen Lebensweges liegt es in der Natur der Sache, dass häufig Annahmen getroffen und Durchschnittswerte herangezogen werden müssen. Dazu kommen methodische Unsicherheiten. Viele Zusammenhänge bei den Wirkungskategorien sind noch unbekannt, insbesondere in den Bereichen der toxizitätsbezogenen Wirkungskategorien. Die Berechnung von Indikatoren und die modellierte Wirkung basieren auf zum Teil starken Vereinfachungen. Die Ergebnisse einer Ökobilanz können daher nie die Wirklichkeit abbilden und sind darüber hinaus immer im Zusammenhang mit den formulierten Zielen und dem Untersuchungsrahmen zu sehen.
Ergebnisse sind daher keinesfalls absolut zu sehen und es müssen immer gewisse Standardabweichungen berücksichtigt werden. Wie groß diese Standardabweichungen sind, hängt vom konkret modellierten System ab:
- Wie gut sind die verwendeten generischen Datensätze?
- Wie sicher konnten Annahmen getroffen werden?
- Welche primären Daten standen zur Verfügung?
Unterschiede zwischen den Ökobilanzergebnissen verglichener Materialien oder Produkte sollten daher immer ausreichend groß sein, bevor Schlussfolgerungen gezogen werden können.
Werden diese Besonderheiten bedacht, haben ökobilanzielle Berechnungen einen unbestreitbaren Wert für eine umweltfreundlichere Produktgestaltung.
Aktuell: Der Product Environmental Footprint
Im April 2013 wurde von der Europäischen Kommission der „Product Environmental Footprint (PEF)“ veröffentlicht. PEF ist Methode, die die Umweltauswirkungen von Produkten und Dienstleistungen über den gesamten Lebensweg hinweg modelliert und bewertet. Dafür werden Stoff- und Energieflüsse sowie die dazugehörigen Emissionen und Abfallströme herangezogen. Die Methode soll dazu verhelfen, bestehende Methoden zur Ökobilanz-gestützten Bewertung von Produkten zu vereinheitlichen und damit eine Vergleichbarkeit zu schaffen.
Folgende Ziele werden unter anderem mit der Einführung der PEF-Methode verfolgt:
- Analyse und Identifizierung signifikanter Umweltwirkungen von Produkten und Dienstleistungen,
- Einsparung von Kosten bei der Analyse von Umweltauswirkungen,
- Identifizierung von Hotspots entlang des Lebensweges,
- Optimierung von Produkten entlang ihres Lebensweges,
- Kommunikation und Offenlegung von Umweltauswirkungen,
- umweltgerechte öffentliche Beschaffung sowie
- Vergleiche und vergleichende Aussagen mit anderen Produkten der betrachteten Produktgruppe (Umweltbundesamt, 2019).