Der Werdegang des Projekts everwave zeigt exemplarisch den Weg über Crowdfunding und andere Instrumente zum bestehenden Unternehmen. Dies ist ein Erfahrungsbericht, der auf einem Interview mit Marcella Hansch im Sommer 2022 basiert.
Intro
Während eines Tauchgangs auf den Kapverden 2012 erschrak sich die Architekturstudentin Marcella Hansch darüber, wieviel Plastikmüll im Meer schwimmt. Dieses Problem beschäftigte sie so sehr, dass sie es 2013 zum Thema ihrer Masterarbeit an der RWTH Aachen machte. Sie entwickelt das Konzept der schwimmenden Plattform „Pacific Garbage Screening“. Darin wird die Meeresströmung durch eine intelligente Konstruktion beruhigt, sodass im Wasser befindende Kunststoffpartikel auftreiben. Die Partikel können dann, ohne Fische und andere Meeresbewohner zu gefährden, abgeschöpft und direkt als Energie- und Rohstoffquelle genutzt werden.
Das Konzept verbreitet sich
Nach ihrem Abschluss landete die Idee zunächst in der Schublade und Marcella fing an, in einem klassischen Architekturbüro zu arbeiten. Ganz konnte sie das Projekt jedoch nicht vergessen und erzählte Freund:innen, Bekannten und Kolleg:innen davon.
„Die Idee ist eigentlich durch Zufall bekannt geworden. Mein damaliger Chef hat einem befreundeten Journalisten von Pacific Garbage Screening erzählt und der hat dann wiederum einen Artikel darüber geschrieben. Der Artikel wurde in der Printausgabe der Westfalenpost 2013 veröffentlicht und ist total durch die Decke gegangen.”
Plötzlich bekam Marcella viele Einladungen, Impulsvorträge über ihre Vision zu halten. So nahm sie das Projekt wieder auf.
2015 stellte sie das Projekt an ihrer ehemaligen Universität im Institut für Wasserbau vor. Die Professorinnen und Professoren des Instituts waren sofort begeistert und schrieben Masterarbeiten aus, die Marcellas Konzept weitergehend untersuchen sollten. Das war der Start einer langjährigen Partnerschaft. Innerhalb von 3 Jahren entstanden dann mehrere Abschlussarbeiten, die bestätigten, dass die Idee funktionieren kann. So bildete sich eine Gruppe von Studierenden um das Projekt und die Vision wurde immer realer.
2016 gewann das Projekt den Bundespreis Ecodesign in der Kategorie Nachwuchs.
„Das war für unsere Gruppe ein schönes Zeichen. Der staatliche Preis hat das Konzept nochmal untermauert und hat uns Glaubwürdigkeit verliehen. Die Auszeichnung ist auch heute noch ein Aushängeschild und hilfreich in Gesprächen mit potentiellen Partner*innen oder Spender:innen.”
Ein Verein wird gegründet
Immer mehr Menschen wollten das Projekt unterstützen bzw. fragten an, ob sie dafür spenden können.
„Uns wurde bewusst, dass wir als Privatleute nicht weiterkommen. Wir brauchten ein Gerüst.”
Deshalb gründeten sie ein paar Wochen später zu zwölft den Verein Pacific Garbage Screening e.V.
„Dadurch, dass wir am Anfang keinen wirtschaftlichen Fokus hatten und alle ehrenamtlich gearbeitet haben, war schnell klar, es wird ein Verein. Außerdem hätten wir eine GmbH damals gar nicht finanzieren können.”
Die offizielle Organisation schuf die Möglichkeit, Spenden anzunehmen und Mitglieder aufzunehmen. Trotzdem merkten sie schnell, dass sie mit den Spendengeldern alleine solch ein großes Projekt nicht umsetzen konnten.
Für ein Existenzgründungsstipendium fehlten Marcella ihrer Meinung nach die Leute:
„Da hätte ich mich mit mindestens 2-3 Leuten bewerben müssen. Damals war ich aber eigentlich der alleinige Kopf, die anderen haben das eher hobbymäßig gemacht.”
Ein Team findet sich
Marcella wurde auf den Film “A Plastic Ocean” aufmerksam. Da dieser in Deutschland nicht gezeigt wurde, plante der Verein selbst eine Filmtour zu organisieren.
Als sie mitbekamen, dass die International Ocean Film Tour 2017 den Film zufällig auch in ihr Programm aufgenommen hatte, schlossen sich die beiden Organisationen zusammen und Pacific Garbage Screening tourte mit einem eigenen Infostand bei der Internationale Ocean Film Tour mit. Der gelernte Moderator Clemens Feigl führte damals passend zum gezeigten Film “A Plastic Ocean” öffentliche Interviews mit Marcella.
„Clemens hatte in diesen 10 Minuten so viel Feuer für das Thema gefangen, dass er mich danach gefragt hat, ob er uns unterstützen kann.”
So übernahm er ehrenamtlich von einem Tag auf den anderen das komplette PR- und Marketing Management des Projektes. Das Projekt war mittlerweile so bekannt, dass Marcella 2018 zu Markus Lanz eingeladen wurde.
Bei einem Vortrag in der RWTH Aachen lernte sie Dr. Tilman Floehr kennen, der sich in seiner Doktorarbeit „Dammed and Damned? - Ecotoxicological Impacts on the Yangtze Three Gorges Reservoir, China” mit einer ähnlichen Thematik beschäftigte. Auch er war von Marcellas Idee begeistert und wollte sich engagieren.
Schnell übernahm er ehrenamtlich die Forschungsabteilung, entwickelte ihre Technologie weiter und kümmerte sich fortan um die Kooperation mit dem Institut für Wasserbau der RWTH Aachen und ermöglichte es, ihre Prototypen in deren Strömungskanälen zu testen.
Crowdfunding ermöglicht die nächsten Schritte
Trotz des wachsenden Interesses an der Thematik war die Finanzierung weiterhin schwierig. Weil bei ihnen lange Zeit kaum ein Förderantrag bewilligt wurde, mussten sie andere finanzielle Mittel finden.
Im Sommer 2018 starteten sie deshalb eine Crowdfunding-Aktion bei startnext. Da sie kein großes Budget hatten, kümmerten sie sich selbst um Bildmaterial und Marketing. Eine Filmagentur, die das Projekt von sich aus angeschrieben und unterstützen wollte, drehte dafür relativ kurzfristig und unentgeltlich ein Erklärvideo.
„Viele meinten, wenn wir keinen großen Sponsor in der Hinterhand haben, der am Ende den Topf voll macht, dann brauchen wir es gar nicht erst versuchen. Wir dachten uns aber, mehr als schief gehen kann es nicht.”
Die Crowdfunding Aktion wurde zum vollen Erfolg: Innerhalb von sechs Wochen kamen durch 3.850 UnterstützerInnen mehr als 230.000 € zusammen.
Das Startkapital erlaubte es ihnen, erste Stellen einzurichten und anzufangen, Prototypen zu bauen.
Das Team entwickelte die Idee weiter. Sie wollten das Plastikproblem im Meer nun auch an den Wurzeln anpacken.
„Ich vergleiche das gerne mit einem Wasserschaden. Da wischt man ja auch nicht als erstes den Boden auf, sondern dreht erst mal den Hahn zu. Das ist im Prinzip mit Plastik im Meer genauso. Deswegen ist es noch viel effektiver, schon vorher in den Flüssen, über die der Großteil des Mülls ins Meer gelangt, anzusetzen.”
Also entschieden sie sich, ihr bisheriges Plattformsystem für den Einsatz in Flüssen zu adaptieren.
Zusammen mit Clemens und Tilman gründete Marcella noch im selben Jahr eine GmbH, um leichter Forschungsgelder beantragen zu können, Haftungsrisiken auszuschließen und kooperierenden Partnern mehr Sicherheit zu bieten.
Und da bei dem Projekt weiterhin die Gemeinnützigkeit im Fokus stehen sollte, gründeten sie zusätzlich die everwave foundation gGmbh und machten diese zum Hauptgesellschafter der GmbH.
Von Pacific Garbage Screening zu everwave
Ein nächster logischer Schritt war es, an der Quelle des Problems anzusetzen und Aufklärungs- und Bildungsarbeit in das Projekt zu integrieren. Dafür hatte Marcella besonders Feuer gefangen.
„Wir wollen nicht nur immer wieder den Müll aus den Flüssen und Meeren holen, sondern verhindern, dass Plastik überhaupt im Wasser landet.”
Deshalb fingen sie an, noch gezielter Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und Vorträge zu halten. Für die Umweltbildung an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen entwickelten sie 2020 den Umweltbildungskoffer, ein spielerisches Lernmaterial. Das Thema Umweltbildung und Inspiration ist heute in der everwave foundation gGmbH verankert.
Durch die Weiterentwicklung ihres ganzheitlichen Ansatzes entschieden sie sich im November 2020 dazu, ihr Projekt in everwave umzubenennen.
Mittlerweile finanziert sich die everwave GmbH hauptsächlich über “Plastic Credits”, eine Kompensation von Plastik.
„Pro Kilo, das wir aus dem Wasser holen, zahlt man einen Euro. Dafür bekommen sie von uns ein Kompensationszertifikat, das sie nach außen kommunizieren können.”
Mit ihrer Umweltbildung in der everwave foundation generieren sie Einnahmen u.a. durch den Verkauf des Lehrmaterials und durch ihre Workshops. Außerdem kann an den gemeinnützigen Verein als auch an die everwave foundation weiterhin gespendet werden.
Herausforderung als Gründer:in
Marcella, selbst zweifache Mutter, beschäftigt sich mit den Herausforderungen als Frau in einer männerdominierten Start-up-Welt. Zwar gibt es inzwischen Plattformen, wie das She-works Netzwerk, das Förderungen und Programme explizit für Frauen listet, dennoch existiert nach wie vor ein großes Ungleichgewicht.
Auch Marcella gewann einige frauenbezogene Preise und wunderte sich zunächst über deren Auslegung:
„Ich möchte doch keinen Preis gewinnen, weil ich eine Frau bin. Ich möchte einen Preis gewinnen, weil ich eine coole Idee hatte. Inzwischen merke ich aber, dass es immer noch nicht selbstverständlich ist, Gründerin zu sein.”
Gerade auch nach ihrer Schwangerschaft musste sie spüren, wie schwierig es als Frau mit Baby sein kann, ein Unternehmen zu führen. Da sie mit zwei Kindern nicht zu 100 % verfügbar sein kann, hat sie nun die Geschäftsführung der GmbH an Clemens abgegeben.
„Man hat Einschränkungen, die einfach naturgegeben sind und die leider von der Gesellschaft noch nicht ausreichend aufgefangen werden.”
Marcella hat Anfang diesen Jahres die Geschäftsführung der everwave foundation übernommen.
„Mit meinen beiden Töchtern ist meine Motivation für das Thema Bildung und dafür, Menschen für eine nachhaltige Zukunft zu begeistern, nochmal mehr gewachsen. Für dieses Thema brenne ich!‘‘
Außerdem sagt sie, dass Durchhaltevermögen das Wichtigste ist:
„Ein Learning, das ich definitiv aus den letzten Jahren ziehen kann, ist, dass es immer irgendwie weitergeht. Wenn man mal nicht auf dem richtigen Weg ist, muss man einen anderen suchen. Und den gibt es auf jeden Fall."
So geht es weiter
Marcellas Fokus liegt mittlerweile ganz klar darin, die Bildung zu internationalisieren. Ein erstes Pilotprojekt läuft bereits in Kambodscha, gemeinsam mit der everwave GmbH, die ein Boot vor Ort im Einsatz hat.
„Wir haben dort die Patenschaft einer Schule übernommen und arbeiten vor Ort mit Lehrern und Schulleitern daran, die Schule zu einer Pilotschule für Umweltbildung zu machen."
Dieses Konzept wollen sie in weiteren Ländern verbreiten und weltweit zeigen, dass Umweltschutz Spaß machen kann und einen Mehrwert für jeden bietet.
“Meine Vision ist, dass wir das größte soziale Unternehmen werden, das Menschen für einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen begeistert.”