Der Werdegang des Projekts Platzhalter zeigt exemplarisch den Weg, wie Wettbewerbe und Unterstützung durch Stiftungen, Ideen in die Tat umzusetzen helfen. Dies ist ein Erfahrungsbericht, der auf einem Interview mit Lasse Schlegel und David Schwarzfeld im Sommer 2022 basiert.

Grafik: beta projects

Intro

Lasse Schlegel und David Schwarzfeld finden, dass Werbung den Überkonsum befeuert und diese somit für viele ökologische und soziale Probleme verantwortlich ist.

Deshalb haben sie  das Projekt Platzhalter initiiert, das Konsumbotschaften aus dem öffentlichen Raum verdrängen soll. Stattdessen schaffen sie gemeinschaftliche Begegnungsorte, an denen sich Menschen austauschen, mitgestalten und interagieren können. Eine Plakatwand, die zuvor von einer Sportschuh-Werbung besetzt war, wandeln sie in einen Basketballkorb um. Die Werbefläche an der Bushaltestelle lädt zum Sudoku spielen ein. Der öffentliche Raum wird so zurückerobert.

Im Lockdown gedeiht eine Idee

Ende 2019 waren die Freunde David Schwarzfeld und Lasse Schlegel, aktiv bei students for future. Damals entstand die Vision, Konsumbotschaften aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. 

David studierte an der Hochschule Hannover visuelle Kommunikation und der gelernte Mediengestalter Lasse Schlegel studierte neben seiner Tätigkeit in einer Werbeagentur an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Design in der digitalen Gesellschaft. Aus Zeitgründen steckten die beiden die Idee jedoch vorerst in die Schublade, bis sie sich bei Spaziergängen während des ersten Corona-Lockdowns über die omnipräsente Werbung an Litfaßsäulen und Plakatwänden ärgerten. Weil bei David gerade kein Studienprojekt anstand und Lasse sich aus dem Agentur-Business zurückziehen wollte, entschieden sie sich, das Projekt gemeinsam aufzunehmen:

„Andere haben sich abends getroffen, um zu zocken und wir haben uns getroffen, um an dem Projekt zu arbeiten. Diese Sessions haben viel Spaß gemacht.”
David Schwarzfeld

Von der Idee zum Pilotprojekt

Nachdem Lasse und David das Platzhalter-Konzept ausgearbeitet und visualisiert hatten, gewannen sie die gemeinnützige Stiftung FUTURZWEI als Kooperationspartner, welche das Projekt mit wertvollen Kontakten und 1.500€ förderte. Außerdem konnten sie, ohne selbst eine weitere Organisation gründen zu müssen, unter der Schirmherrschaft von Futurzwei Fördergelder beantragen. Die beiden bewarben sich erfolgreich bei  Fonds Soziokultur- U25-Junge Kulturinitiativen für eine Förderung.

„Es ist ziemlich aufwändig, Förderanträge zu schreiben. Fonds Soziokultur ist nicht die einzige Stelle, bei der wir eine Förderung beantragt haben, aber die Einzige, die es uns bewilligt hat.”
David Schwarzfeld

Mit deren finanzieller Unterstützung konnten die beiden im Juli 2021 ihr Pilotprojekt verwirklichen: Für zwei Wochen bespielten sie neun Werbeflächen in den Hannoveraner Stadtbezirken Linden, Calenberger Neustadt und Nordstadt. Die AnwohnerInnen wurden durch die umgenutzten Werbeflächen, wie z.B. einer Malsäule zu Mitgestaltung und gemeinschaftlicher Interaktion animiert.

„Eine unserer größten Herausforderungen war überhaupt bis zum Piloten zu kommen. Danach hat sich ziemlich viel geebnet, aber davor waren wir zwei Typen, die ein paar Photoshop-Entwürfe hatten. Wenn man dann noch gesagt hat, wie teuer eine Flächenmietung ist, dann waren die meisten schon raus.”
Lasse Schlegel

Nachdem erste kleine Erfolge des Projektes sichtbar und der Pilot realisiert wurde, stellte Lasses Universität den beiden einen Arbeitsraum zur Verfügung. 

Für ein von der Hochschule initiiertes Gründer-Stipendium bewarben sie sich nicht, da sie das Gefühl hatten, mit ihrem Projekt nicht ins Raster zu passen.

Platzhalter-Pilot in Hannover 2021, Bild: Platzhalter-Projekt

Wettbewerbe puschen das Projekt

2021 gewannen sie dann für ihr Projekt Platzhalter den "WAS IST GUT” Wettbewerb des Deutschen Design Clubs (DDC), den Nachwuchswettbewerb aed neuland und den Bundespreis Ecodesign in der Kategorie Nachwuchs und wurden für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.

„Die Preise kamen immer genau zum richtigen Zeitpunkt. Wenn man mal wieder durchhing und dann bei einem Wettbewerb eingeladen wurde, in die engere Auswahl kam oder sogar gewonnen hat, das hat mich und meine Motivation immer sehr gepuscht.”
Lasse Schlegel

Kurz nach der Preisverleihung des Bundespreis Ecodesign? kontaktierte sie die Geschäftsführung von einem der größten Werbeflächenvermieter Europas. Das war eine Überraschung, denn vor dem Piloten hatten Lasse und David noch erfolglos versucht mit dem Unternehmen einen Rabatt für die Nutzung ihrer Werbeflächen auszuhandeln. Trotzdem führten sie Gespräche, um herauszufinden, ob es eine für sie interessante Möglichkeit der Zusammenarbeit geben würde. 

„Sie haben uns die Bereitschaft für eine Kooperation signalisierte – wie auch immer diese aussehen könne. Am Anfang haben wir uns damit schwergetan, mit einem Werbeflächenvermieter zusammen zuarbeiten. Sie waren ja auch bis dahin ein Stück weit unser „Feindbild”.”
David Schwarzfeld

Im Frühjahr 2022 nahmen die beiden beim Wettbewerb “Lösung Stadt Vision” der E.ON Stiftung teil. In der im Wettbewerb integrierten “Werkstattwoche” bekamen sie einen Mentor an die Seite gestellt.

Platzhalter Werkstattwoche © E.ON-Stiftung: Ravi Sejk

Eine Finanzspritze ermöglicht die erste große Realisierung

Anfangs verdienten die beiden mit dem Projekt kein Geld und finanzierten sich ihren Unterhalt durch andere Jobs.

„Es war manchmal wirklich anstrengend, wenn man nach 40 Stunden Arbeit mit Platzhalter weiter gemacht hat.”
Lasse Schlegel

Seit Anfang des Jahres 2022 halten die beiden regelmäßig Vorträge und Veranstaltungen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, was es ihnen ermöglicht durch ihr Projekt Einnahmen zu generieren. Gemeinsam mit den TeilnehmerInnen entwickeln sie soziale und nachhaltige Alternativvorschläge zu Werbung im öffentlichen Raum.

„Die Fragestellung ist meistens, wie man mit einfachen Mitteln und Kreativität Stadtraum umgestalten kann.”
Lasse Schlegel

Im Juni 2022 wurde Projekt Platzhalter dann zu einem der drei Gewinnerteams des Wettbewerbs Lösung • Stadt • Vision der E.ON Stiftung gekürt und David und Lasse gewannen eine einjährige Förderung für ihr nächstes Projekt in Essen, das im August 2022 gestartet hat. Diesmal entschieden sie sich, nur mit Werbesäulen zu arbeiten.

Im ersten Schritt des Projektes, einer einmonatigen Partizipation Phase, wurden gemeinsam mit der Nachbarschaft knapp 300 Ideen gesammelt: Hatte man eine Idee, konnte man diese direkt auf eine der Säulen schreiben, malen oder durch das Scannen eines QR Codes online einreichen. Im nächsten Schritt agierten die beiden Gestalter dann als helfende Hand bei der Umsetzung. 

Das Budget von knapp 80.000 Euro deckt die Materialkosten und bietet den beiden Gestaltern zum ersten Mal die Möglichkeit, in Vollzeit am Projekt zu arbeiten und sogar Unterstützung von drei neuen Teammitgliedern hinzuzuziehen.

Auch für den Hauptkostenpunkt, das Mieten von Werbeflächen konnten sie ein Lösung finden.  Die ein paar Monate zuvor noch vagen Gespräche konnten jetzt in einer Kooperation mit dem  Werbeflächenvermieter münden. Sie bekamen die Zusage für die freie Nutzung von 10-15 Säulen für 105 Tage.

„Das ist jetzt ein guter Testballon, um die Zusammenarbeit auszuprobieren.”
Lasse Schlegel
Pilot in Essen 2022 | Bild: Platzhalter-Projekt

So geht es weiter

Abschließend erzählen die beiden, dass sie es sehr zu schätzen wissen, wie unglaublich viel sie in den letzten Jahren gelernt haben und dass sie ihr Netzwerk so stark ausbauen konnten. Gleichzeitig unterschätzte man aber auch, wie viel Arbeit so ein Projekt mit sich bringt. Generell können sich die beiden gut vorstellen Projekte wie jenes in Essen öfter zu machen, würden in dem Fall aber gerne noch enger mit der jeweiligen Stadt zusammenarbeiten. Darüber hinaus wollen sie ihre Workshops weiterentwickeln.

„Ich möchte noch an dem didaktischen Teil feilen, weil mir das besonders viel Spaß macht.”
David Schwarzfeld

In Zukunft würden die beiden außerdem gerne Werbeflächen im öffentlichen Raum dauerhaft kreativ umnutzen.

„Wir wollen etwas schaffen, das bleibt; quasi eine “Produkt”-Palette gestalten, die auf alle Werbeflächen übertragbar ist.”
Lasse Schlegel