Der Werdegang des Projekts Shards zeigt exemplarisch den Weg über das Gründungszentrum der eigenen Hochschule und andere Instrumente zum werdenden Unternehmen. Dies ist ein Erfahrungsbericht, der auf einem Interview mit Lea Schücking im Sommer 2022 basiert.

Grafik: beta projects

Intro

Das Unternehmen Shards (englisch für Scherben) stellt Fliesen aus Ziegel, Bauschutt, Industrieabfällen und recyceltem Glas her. Dabei sind weder Bindemittel noch Zusatzstoffe wie z.B. Farbstoffe notwendig. Farbigkeit, Oberflächenbeschaffenheit und Haptik werden allein durch das ausgeklügelte Mengenverhältnis der eingesetzten Bestandteile und durch die Brenntemperatur bestimmt.  Nach dem Prinzip der Wiederverwertung, können kaputte Shards-Fliesen vollständig zu neuen Fliesen verarbeitet werden.

Aus Bauschutt entstehen Fliesen

Lea Schücking hat von 2009-2020 an der Kunsthochschule Kassel Produktdesign studiert.

2012 belegte sie ein offenes Seminar zum Thema “Upcycling”, in dem sie erstmals mit Bauschutt experimentierte. Sie zerkleinerte und vermengte alte Ziegel mit Recyclingglas und brannte diese in einem keramischen Ofen. Dabei entstanden viele verschiedenfarbige runde Materialproben. Beim Versuch, dem Material eine andere Form zu geben, erwies sich dieses allerdings als sehr eigensinnig. Daher ließ Lea das Projekt nach der Abschlusspräsentation zunächst ruhen und ging anderen Studienarbeiten nach.

Das Material blieb ihr aber im Hinterkopf und 2016 wusste sie plötzlich, was das Material werden wollte - eine Fliese. Hochmotiviert nahm sie die Forschung wieder auf. Sie experimentierte an der Rezeptur und Verarbeitung, bis es ihr anderthalb Jahre später gelang, aus einem Material, bestehend aus Ziegel-Bauschutt und recyceltem Glas, Fliesen zu brennen.

Das Konzept erregt Aufmerksamkeit

Bereits die ersten Prototypen stellte Lea auf verschiedenen Plattformen vor:

„Messen und Ausstellungen waren immer super hilfreich, um herauszufinden, welche Farben und Formate gut ankommen und welchen Kaufpreis Kund:innen bereit wären, zu zahlen.”

Auf der Mailänder Möbelmesse kam sie mit der Materialforschungs-Agentur haute Innovation in Kontakt, die ihr von ihren Ausstellungen über innovative und nachhaltige Materialien erzählte. Zwei Monate später waren Leas frisch gebrannte Prototypen Teil der 

Kölner Messen Interzum und fsb (der globalen Leitmesse für Freizeit Sport und Bewegung). Es folgten Ausstellungen auf der Grassimesse in Leipzig, der Internationalen Handwerksmesse in München, der Bundesgartenschau in Heilbronn und viele weitere. 

2018 gewann Lea dann den Bundespreis Ecodesign in der Kategorie Nachwuchs.

„Die Auszeichnung war für mich ein Türöffner, da es bedeutete, dass meine Idee bzw. mein Produkt von Experten für gut befunden wurde. Sobald ich den Preis erwähnt habe, wurde ich ernster genommen.”

Weitere Auszeichnungen folgten, wie der Hessische Gründerpreis in der Kategorie »Gründung aus der Hochschule« 2020, die Businessplanwettbewerbe Promotion Nordhessen und Science4life oder der deutsche Nachhaltigkeitspreis Design 2021.

„Es lohnt sich wirklich, bei Wettbewerben mitzumachen. Das hat immer zu vielen Berichterstattungen und Anfragen geführt.”

So kam es beispielsweise zu Beiträgen der Frankfurter Rundschau oder des Hessischen Rundfunks, die zu viel Aufmerksamkeit führten.

Lea Schücking fotografiert von © Britta Hünning

Förderungen und Stipendien

Mehr und mehr Menschen wollten die nachhaltigen Fliesen kaufen. Da es an der Kunsthochschule Kassel kein eigenes Gründerzentrum gab, suchte Lea proaktiv nach Hilfe und nahm Kontakt mit der auf dem Campus der Universität Kassel integrierten Gründungsberatung Science Park auf. 

Ihre Gründungsberaterin war von Shards begeistert und wies Lea auf das 6- monatige Hessenideen Stipendium hin.

„Mir wurde geraten, mich mit einem Team für das Stipendium zu bewerben. Ich habe dann eine Kommilitonin und Freundin von mir gefragt, ob sie Lust hätte, das gemeinsam zu machen. Davor habe ich schon oft ihr ästhetisches Auge für das Projekt in Anspruch genommen.”

Die beiden gewannen 2019 das Stipendium und bekamen für ein halbes Jahr neben einem monatlichen Gehalt einen eigenen Arbeitsplatz und Zugang zu Coachings und Workshops.

„Das waren tatsächlich die ersten Schritte in Richtung Start-up. Wir konnten in alle Bereiche ganz intensiv hinein schnuppern.”

2020 schrieben sie dann gemeinsam über Shards ihre Diplomarbeit mit dem Titel “Shards – Fliesen aus Bauschutt”. 

Gleichzeitig bewarben sie sich erfolgreich für das Exist-Gründerstipendium vom Bundesministerium für Wirtschaft. 

Für die Dauer des 12-monatigen Stipendiums bekamen sie über ihren Hochschulmentor Prof. Dr.-Ing. Jens Hesselbach vom Fachbereich Umweltgerechte Produkte und Prozesse (upp) der Universität Kassel einen Raum mit einem keramischen Ofen in der Fakultät Maschinenbau zur Verfügung gestellt.

Da beim Exist Gründerstipendium bis zu drei Teammitglieder finanziell gefördert werden, konnten sie sich außerdem weitere Unterstützung an Bord holen. Dafür schrieben sie ganz klassisch eine Stelle aus, führten Bewerbungsgespräche und erweiterten ihr Team schließlich durch eine Verfahrensentwicklerin. 

Während des Stipendiums kam es zu einem Teamwechsel und ein Wirtschaftsingenieur  füllte als Business Developer die dritte Stelle. 

Das Team nutzte die Zeit, um an der Verfahrensentwicklung ihres Prototypens zu feilen und zu evaluieren, ob sie eine eigene Produktionslinie aufbauen oder die Produktion lieber extern auslagern möchten. 

Lea wurde schwanger und arbeitete gegen Ende des Stipendiums während ihres Mutterschutzes für ein paar Monate nicht aktiv beim Projekt mit.

„Die beiden anderen waren dann natürlich sehr stark mit der Mehrbelastung konfrontiert und bei ihnen kam die Frage auf, ob sie das alles wirklich wollen.”

Mit dem Ende des Stipendiums entschieden sie sich dazu, das Projekt zu verlassen.

„Wir sind im Guten auseinander gegangen. Es wird einem oft vermittelt, dass man als Team gemeinsam durch alle Schmerztäler gehen muss. Ich finde das stimmt nicht. Die einzelnen Phasen, die man durchläuft, um ein Start-up aufzubauen, sind so unterschiedlich. Es sollte allen Beteiligten immer Spaß machen und nichts erzwungen werden. Ich finde das auch überhaupt nicht negativ und glaube, Teamwechsel kommen ziemlich oft vor. Es wird nur nicht so oft darüber gesprochen.”
Bild: Shards

Eine neue Phase - die Produktionsentwicklung

Lea entschied sich, mit ihrem Lebensgefährten weiterzumachen.

„Er hat das Projekt von Anfang an unterstützt und war über die Jahre hinweg in diverse Aktionen mit eingebunden.”

Außerdem stellten sie zwei Mitarbeiterinnen für die Buchhaltung und die Werkstatt auf 450 Euro Basis an.

Im Moment finanzieren sie sich mit Geld, das sie von ihrer Familie geliehen haben. Sie haben bereits Gespräche mit potentiellen Gründerfonds und Investor*innen geführt, wollen sich aber die Freiheit bewahren, alle Entscheidungen selbst zu treffen und Unternehmensanteile langfristig zu behalten. 

„Wir wollen keiner Exit-Strategie nachgehen, sondern ein Familienunternehmen aufbauen, bei dem Nachhaltigkeit und nicht Profit im Zentrum steht. Das macht das Ganze für viele Investor:innen eher uninteressant.”

Mittlerweile wurden die Fliesen bereits in diversen Pilotprojekte in Deutschland und den Niederlanden verbaut. Das Team produziert aktuell in Handarbeit Musterfliesen und setzt kleinere weitere Pilotprojekte um. 

Der nächste Schritt ist nun, eine eigene halbautomatische Produktion aufzubauen.

„Wir haben natürlich auch evaluiert, ob sich unser Produkt in bestehende Fliesenproduktionen integrieren lässt. Unsere Werkstoffe und unser Verfahren unterscheiden sich jedoch stark von denen herkömmlicher Fliesenproduktionen. Außerdem ist die deutsche Fliesenindustrie auf Effizienz ausgerichtet und Unternehmen haben kein Interesse daran, ihre Produktionsketten zu pausieren, um sich auf Experimente einzulassen. Letztendlich haben wir uns dann dazu entschieden, selbst eine Produktionslinie zu entwickeln.”

Lea wurde von mehreren Seiten auf das Forschungsinstitut für Glas und Keramik hingewiesen und kontaktierte dieses kurzerhand.

Das Institut hatte bereits von Shards gehört und war für eine Kooperation offen. Die Fachkräfte des Institutes helfen ihnen nun bei der Produktionsentwicklung. Sie untersuchen außerdem die chemischen Prozesse, testen die Fliesen auf ihre technischen Anforderungen und unterstützen bei der Klassifizierung, wie z.B. Außenanwendung oder Bodenanwendung.

Die anfallenden Kosten versucht Lea über Förderungen zu erwirtschaften. 

„Anträge zu schreiben ist aufwändig. Aber das gehört eben auch dazu.”

Nach heutigem Stand benötigen sie für ihre Produktionslinie keine individuell angefertigten Maschinen. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, die richtigen einzelnen Komponenten zusammenzuführen.

„Die verschiedenen Hersteller sind sehr kooperativ und testen unsere Materialien in ihren Maschinen. Wir haben ein nachhaltiges Produkt und wollen auch dessen Herstellung so nachhaltig wie möglich gestalten. Hierfür sind wir auf die Unterstützung und das Know How unserer Kooperationspartner angewiesen.“
Bild: Shards

So geht es weiter

Das Paar gründete im Mai 2022 die Shards GmbH. Sie wollen ein Familienunternehmen aufbauen, das nicht nur nachhaltige und kreislauffähige Produkte herstellt, sondern auch klimaneutral und emissionsarm produziert. Dafür entwickeln sie gerade ein Konzept, bei dem sie ihren Strom durch eine eigene Photovoltaikanlagen auf dem Dach der Produktionsstätte erzeugen wollen.

Ihr Ziel ist es, einen fairen Arbeitsplatz für ein Team zu schaffen, das Spaß an seiner Arbeit hat. 

„Für mich ist die Selbstständigkeit ein Geschenk, weil ich dadurch so frei leben und meine Zeit selbst einteilen kann. Außerdem können wir unser Unternehmen genau so gestalten, wie wir es wollen. Wir können z.B. festlegen, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden und Männer dazu ermutigen, auch Elternzeit zu nehmen.”